Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
28. Jahrgang (2025) - Ausgabe 10 (Oktober) - ISSN 1619-2389
 
 RESTRUKTURIERUNGSMAGAZIN
   Zeitschrift für Restrukturierung, Sanierung
   und strategische Unternehmensführung
   ISSN 1867-7517
   www.restrukturierungsmagazin.de

"Deutschland braucht jetzt eine überzeugende Erfolgsgeschichte, die Aufstiegschancen verspricht"

München - Ein Zehn-Jahres-Hoch bei den Unternehmensinsolvenzen, eine sinkende Erfolgsquote von Sanierungsmaßnahmen in deutschen Unternehmen und ein weiter rückläufiges Bruttoinlandsprodukt - der neue Bundeskanzler Friedrich Merz hat am 06. Mai 2025 ein schweres Erbe angetreten und ist nun seit zehn Wochen im Amt. Seit mehr als 20 Jahren in der Beratung von Not leidenden Unternehmen tätig ist Volker Riedel. In München führt er als geschäftsführender Gesellschafter gemeinsam mit Kollegen die Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner GmbH. Im Gespräch mit dem Restrukturierungsmagazin erläutert das Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM), inwieweit Deutschland schon wieder der "kranke Mann Europas" ist und was Politiker und Unternehmer zur Gesundung des Patienten beitragen können.

Restrukturierungsmagazin: Während die Wirtschaftsleistung in den meisten anderen Ländern Europas im Jahr 2024 gestiegen ist - beispielsweise in Spanien um 3,2 Prozent oder in Polen um 2,9 Prozent, ging das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland laut Statistischem Bundesamt erneut um 0,2 Prozent zurück. Nach Einschätzung der britischen Wochenzeitung "The Economist" ist Deutschland schon wieder der "kranke Mann Europas". Erleben Sie in ihrem Berufsalltag als Restrukturierungsmanager tatsächlich so viele kranke Betriebe?

Volker Riedel Volker Riedel: Im täglichen Projektgeschäft sehen wir derzeit so viele angeschlagene Unternehmen wie zuletzt vor gut 15 Jahren. Der Befund spiegelt sich in vielen statistischen Zahlen und auch in unserem regelmäßigen Sanierungsbarometer wieder, indem wir Banken zur aktuellen Stimmungslage befragen. Die Gründe liegen auf der Hand: Eine hartnäckige Unterauslastung frisst die Liquidität auf, während der Zugang zu frischem Kapital schrumpft. Laut der aktuellen KfW-ifo-Kredithürde empfinden 33,8 Prozent der Mittelständler Bankfinanzierungen mittlerweile als restriktiv – Rekordwert seit Beginn der Umfrage. Und wer im gewerblichen Immobilienumfeld eine Finanzierung sucht, muss gute Zahlen vorweisen und Nerven haben. Hinzu kommt eine außerordentliche Planungsunsicherheit: von Zöllen auf Exportmärkten über Zero-Carbon-Vorgaben und volatile Energiepreise bis hin zum disruptiven Potenzial von KI. Trotzdem ist nicht die ganze Wirtschaft krank: IT-Dienstleister, KI, autonomes Fahren, Health-Care und Teile der Wasserstoff- und Batteriezell-Wertschöpfungskette wachsen weiter. Und natürlich darf man nicht die Rüstungsindustrie vergessen. Wer frühzeitig in neue Geschäftsmodelle investiert hat, steht heute deutlich robuster da. Hierzu braucht es aber eins und das ist Geld.

Restrukturierungsmagazin: Für das erste Halbjahr 2025 erwartet die Creditreform einen Anstieg der Insolvenzen deutscher Unternehmen um 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf den dann höchsten Wert seit 2015. Im gleichen Zeitraum konnte laut Handelsblatt lediglich ein Drittel der zahlungsunfähigen Unternehmen gerettet werden. Drei Jahre zuvor war es noch die Hälfte. Machen die Restrukturierungsmanager keinen guten Job, haben die Unternehmer die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit nicht im Blick oder stimmen die Rahmenbedingungen der Politik in Deutschland nicht?

Volker Riedel: Dass zurzeit nur noch rund ein Drittel der insolventen Unternehmen gerettet wird, hat weniger mit den Fähigkeiten der Restrukturierer zu tun als mit dem Timing der Mandate. Viele Betriebe melden sich erst, wenn die Liquidität bereits restlos erschöpft ist. Eine echte Turnaround-Option gibt es dann kaum noch. Gleichzeitig scheuen Investoren hochriskante Engagements, weil Kapitalkosten und geopolitische Unsicherheiten gestiegen sind. StaRUG-Verfahren beweisen, dass erfolgreiche Prävention möglich ist: Die Softline AG etwa hat bereits 2023 via StaRUG eine reine Eigenkapitalreparatur umgesetzt und damit die operative Handlungsfähigkeit behalten. Aber auch Leonie, Baywa oder Varta sind prominente Beispiele. Der Schlüssel liegt in einer stringenten Krisenfrüherkennung – sowohl im Aufsichtsrat als auch in der Geschäftsführung – und in einer Finanzierung, die außer Banken auch Private-Debt- oder Bond-Kanäle nutzt. Der Gesetzgeber hat hier mit StaRUG auch die Vorgabe zu einem Krisenfrühwarnsystem geliefert, jetzt müssen Unternehmer diese Werkzeuge rechtzeitig anwenden. Leider ist aber hier die Angst vor dem "Aufdecken" ein massives Hindernis für die frühzeitige Restrukturierung.

Restrukturierungsmagazin: Heute (15. Juli 2025) blickt mit Friedrich Merz ein wirtschaftserfahrener Bundeskanzler die ersten zehn Wochen seiner Amtszeit zurück. Aus Sicht des erfahrenen Restrukturierungsmanagers: Wie bewerten Sie die bereits umgesetzten und schon angekündigten Maßnahmen der amtierenden Bundesregierung zur volkswirtschaftlichen Restrukturierung des Landes und welche Eigenverantwortung tragen Unternehmen, um sich im Lichte der international angespannten geopolitischen Lage zukunftsfest aufzustellen?

Volker Riedel: Die ersten Reformpakete setzen richtige Akzente: Das Wachstumsbooster-Gesetz mit degressiver 30-Prozent-AfA und einer schrittweisen Körperschaftsteuer-Senkung signalisiert Investoren, dass sich Kapital in Deutschland wieder lohnen kann. Das Strompreispaket ("Brückenstrom") verschafft energieintensiven Betrieben bis 2028 Kostensicherheit und reduziert ein zentrales Wettbewerbsrisiko. Doch damit ist nur der finanzielle Rahmen abgesteckt. Entscheidend wird, wofür wir die Mittel einsetzen: KI, Robotik und Quantentechnologien definieren den nächsten Industrieschub. Wenn wir uns weiter an der Verbrenner-Symbolik abarbeiten, drohen wir in eine technologische Nische abzurutschen. Deutschland braucht jetzt eine überzeugende Erfolgsgeschichte, die Aufstiegschancen verspricht – vergleichbar mit der ersten Energiewende, nur fokussiert auf Deep-Tech. Wir müssen nicht immer die ersten sein. Aber wir müssen Deep-Tech mit Maschinen verheiraten und Anwendungsfälle in der Automatisierung, der schnelleren Problemlösung schaffen. Dafür müssen Politik und Wirtschaft gemeinsam Bürokratie abbauen und Regulierung beschleunigen. Der beste Gesetzentwurf hilft wenig, wenn Genehmigungen Jahre dauern. Der Ball liegt also nicht nur in Berlin, sondern genauso in den Führungsetagen: Strategisches Portfoliomanagement, entscheidungsorientierte Strukturen und massives Upskilling in datengetriebener Wertschöpfung sind die Eigenbeiträge, ohne die kein nationales Therapiekonzept wirkt. Das Ganze begleitet von einer gut strukturierten Finanzierung.

© 2025 Krisennavigator. Alle Rechte vorbehalten.
Stand der Informationen: 15. Juli 2025.


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Restrukturierungsmagazin: Während die Wirtschaftsleistung in den meisten anderen Ländern Europas im Jahr 2024 gestiegen ist - beispielsweise in Spanien um 3,2 Prozent oder in Polen um 2,9 Prozent, ging das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland laut Statistischem Bundesamt erneut um 0,2 Prozent zurück. Nach Einschätzung der britischen Wochenzeitung "The Economist" ist Deutschland schon wieder der "kranke Mann Europas". Erleben Sie in ihrem Berufsalltag als Restrukturierungsmanager tatsächlich so viele kranke Betriebe?

Volker Riedel Volker Riedel: Im täglichen Projektgeschäft sehen wir derzeit so viele angeschlagene Unternehmen wie zuletzt vor gut 15 Jahren. Der Befund spiegelt sich in vielen statistischen Zahlen und auch in unserem regelmäßigen Sanierungsbarometer wieder, indem wir Banken zur aktuellen Stimmungslage befragen. Die Gründe liegen auf der Hand: Eine hartnäckige Unterauslastung frisst die Liquidität auf, während der Zugang zu frischem Kapital schrumpft. Laut der aktuellen KfW-ifo-Kredithürde empfinden 33,8 Prozent der Mittelständler Bankfinanzierungen mittlerweile als restriktiv – Rekordwert seit Beginn der Umfrage. Und wer im gewerblichen Immobilienumfeld eine Finanzierung sucht, muss gute Zahlen vorweisen und Nerven haben. Hinzu kommt eine außerordentliche Planungsunsicherheit: von Zöllen auf Exportmärkten über Zero-Carbon-Vorgaben und volatile Energiepreise bis hin zum disruptiven Potenzial von KI. Trotzdem ist nicht die ganze Wirtschaft krank: IT-Dienstleister, KI, autonomes Fahren, Health-Care und Teile der Wasserstoff- und Batteriezell-Wertschöpfungskette wachsen weiter. Und natürlich darf man nicht die Rüstungsindustrie vergessen. Wer frühzeitig in neue Geschäftsmodelle investiert hat, steht heute deutlich robuster da. Hierzu braucht es aber eins und das ist Geld.

Restrukturierungsmagazin: Für das erste Halbjahr 2025 erwartet die Creditreform einen Anstieg der Insolvenzen deutscher Unternehmen um 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf den dann höchsten Wert seit 2015. Im gleichen Zeitraum konnte laut Handelsblatt lediglich ein Drittel der zahlungsunfähigen Unternehmen gerettet werden. Drei Jahre zuvor war es noch die Hälfte. Machen die Restrukturierungsmanager keinen guten Job, haben die Unternehmer die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit nicht im Blick oder stimmen die Rahmenbedingungen der Politik in Deutschland nicht?

Volker Riedel: Dass zurzeit nur noch rund ein Drittel der insolventen Unternehmen gerettet wird, hat weniger mit den Fähigkeiten der Restrukturierer zu tun als mit dem Timing der Mandate. Viele Betriebe melden sich erst, wenn die Liquidität bereits restlos erschöpft ist. Eine echte Turnaround-Option gibt es dann kaum noch. Gleichzeitig scheuen Investoren hochriskante Engagements, weil Kapitalkosten und geopolitische Unsicherheiten gestiegen sind. StaRUG-Verfahren beweisen, dass erfolgreiche Prävention möglich ist: Die Softline AG etwa hat bereits 2023 via StaRUG eine reine Eigenkapitalreparatur umgesetzt und damit die operative Handlungsfähigkeit behalten. Aber auch Leonie, Baywa oder Varta sind prominente Beispiele. Der Schlüssel liegt in einer stringenten Krisenfrüherkennung – sowohl im Aufsichtsrat als auch in der Geschäftsführung – und in einer Finanzierung, die außer Banken auch Private-Debt- oder Bond-Kanäle nutzt. Der Gesetzgeber hat hier mit StaRUG auch die Vorgabe zu einem Krisenfrühwarnsystem geliefert, jetzt müssen Unternehmer diese Werkzeuge rechtzeitig anwenden. Leider ist aber hier die Angst vor dem "Aufdecken" ein massives Hindernis für die frühzeitige Restrukturierung.

Restrukturierungsmagazin: Heute (15. Juli 2025) blickt mit Friedrich Merz ein wirtschaftserfahrener Bundeskanzler die ersten zehn Wochen seiner Amtszeit zurück. Aus Sicht des erfahrenen Restrukturierungsmanagers: Wie bewerten Sie die bereits umgesetzten und schon angekündigten Maßnahmen der amtierenden Bundesregierung zur volkswirtschaftlichen Restrukturierung des Landes und welche Eigenverantwortung tragen Unternehmen, um sich im Lichte der international angespannten geopolitischen Lage zukunftsfest aufzustellen?

Volker Riedel: Die ersten Reformpakete setzen richtige Akzente: Das Wachstumsbooster-Gesetz mit degressiver 30-Prozent-AfA und einer schrittweisen Körperschaftsteuer-Senkung signalisiert Investoren, dass sich Kapital in Deutschland wieder lohnen kann. Das Strompreispaket ("Brückenstrom") verschafft energieintensiven Betrieben bis 2028 Kostensicherheit und reduziert ein zentrales Wettbewerbsrisiko. Doch damit ist nur der finanzielle Rahmen abgesteckt. Entscheidend wird, wofür wir die Mittel einsetzen: KI, Robotik und Quantentechnologien definieren den nächsten Industrieschub. Wenn wir uns weiter an der Verbrenner-Symbolik abarbeiten, drohen wir in eine technologische Nische abzurutschen. Deutschland braucht jetzt eine überzeugende Erfolgsgeschichte, die Aufstiegschancen verspricht – vergleichbar mit der ersten Energiewende, nur fokussiert auf Deep-Tech. Wir müssen nicht immer die ersten sein. Aber wir müssen Deep-Tech mit Maschinen verheiraten und Anwendungsfälle in der Automatisierung, der schnelleren Problemlösung schaffen. Dafür müssen Politik und Wirtschaft gemeinsam Bürokratie abbauen und Regulierung beschleunigen. Der beste Gesetzentwurf hilft wenig, wenn Genehmigungen Jahre dauern. Der Ball liegt also nicht nur in Berlin, sondern genauso in den Führungsetagen: Strategisches Portfoliomanagement, entscheidungsorientierte Strukturen und massives Upskilling in datengetriebener Wertschöpfung sind die Eigenbeiträge, ohne die kein nationales Therapiekonzept wirkt. Das Ganze begleitet von einer gut strukturierten Finanzierung.

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Letzte Aktualisierung: Dienstag, 30. September 2025

       

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