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KRISENMAGAZIN | |
Zeitschrift für Krisenmanagement, Krisenkommunikation und Krisentraining | ISSN 1867-7541 www.krisenmagazin.de |
Potsdam - Die Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember 2024 oder der Ausfall eines Notstromaggregats in den DRK Kliniken Berlin Köpenick während des Blackouts im Februar 2019 - in Situationen wie diesen ist das Krisenmanagement in Krankenhäusern besonders gefordert. In "Krankenhaus-Alarm- und -Einsatzplänen" (KAEP) bereiten sich Kliniken daher auf die medizinische Bewältigung von größeren Not- und Katastrophenfällen vor. Das Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam ist eines der größten kommunalen Krankenhäuser in Brandenburg. Dr. Gerald Ripberger ist dort als Oberarzt im Zentrum für Notfall- und Intensivmedizin tätig. Im Gespräch mit dem Krisenmagazin gibt das Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM) Einblicke in den Status-Quo der medizinischen Krisenbewältigung in Deutschland und skizziert Lehren für Krisenmanager anderer Branchen.
Krisenmagazin: Am 5. Juli 2025 war Ihr Klinikum - gemeinsam mit weiteren Akteuren - in die Katastrophenschutzübung "Karli 25" eingebunden. Mehr als 450 Einsatzkräfte und Übungsteilnehmer haben im Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam den fiktiven Einsturz einer Tribüne bei einem Fußballspiel mit rund 150 Verletzten bewältigt. Hat sich Ihre Präventionsarbeit durch den KAEP bewährt und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den haupt- und ehrenamtlichen Einsatzkräften der anderen Übungsteilnehmer?
Dr. Gerald Ripberger: Wir sind sehr dankbar, dass wir nach längerer Pause wieder in eine groß angelegte Katastrophenschutzübung eingebunden waren. Auch wenn der Zeitpunkt der Übung im Vorfeld bekannt war und daher nicht alle Abläufe unter realistischen Bedingungen beübt werden konnten, haben sich die Strukturen und Prozesse unseres Krankenhaus-Alarm- und -Einsatzplans (KAEP) als wirkungsvoll und tragfähig erwiesen. Besonders positiv war die hohe Einsatzbereitschaft unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir konnten auf ein stark motiviertes Team zählen. Natürlich gibt es in jedem Übungsszenario auch Aspekte, die optimiert werden können. Deshalb hat unser Leiter KAEP direkt im Anschluss eine interne Umfrage unter den Beteiligten durchgeführt. Das Feedback war sehr konstruktiv: Viel Lob, aber auch einige wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung unserer Abläufe.
Die Zusammenarbeit mit den anderen Einsatzkräften fand vor allem in der Triage, der Schnittstelle von Präklinik und Klinik, statt. Hier konnten wir wichtige Erkenntnisse gewinnen, etwa zur Dokumentation und der Patientenübergabe unter Zeitdruck. Insgesamt hat die Übung einen spürbaren Beitrag zur Stärkung der regionalen Resilienz geleistet. Sie hat uns gezeigt, wo wir stehen – und wo wir noch besser werden können.
Krisenmagazin: Auch an der Bewältigung "echter" medizinischer Krisen- und Katastrophenfälle haben Sie vielfach mitgewirkt - beispielsweise während der Corona-Pandemie als Leiter des Krisenstabs im Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam, als Medical Emergency Response Advisor am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin und als Chief Medical Officer bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE) in Wien. Wie gut ist aus Ihrer Sicht das medizinische Krisen- und Katastrophenmanagement in Deutschland aufgestellt und was können Krisenmanager anderer Branchen davon lernen?
Dr. Gerald Ripberger: Die Corona-Pandemie und die Flutkatastrophe im Ahrtal haben deutlich gemacht, dass unser Krisen- und Katastrophenmanagement noch erhebliche Schwächen aufweist und wir nicht da stehen, wo wir eigentlich sein sollten. In den letzten Jahren beobachten wir zwar eine Rückbesinnung und Stärkung des Zivil- und Katastrophenschutzes. Zuvor wurde dieser Bereich jedoch, insbesondere auch finanziell, stark vernachlässigt. Unser System stützt sich stark auf föderale Strukturen ab, die auf regionaler Ebene meist sehr gut eingespielt sind. In überregionalen oder länderübergreifenden Lagen stoßen diese schnell an ihre Grenzen. Aus meiner Sicht muss hier dringend nachgebessert werden und insbesondere die Rolle der Organe des Bundes klar definiert werden - gerade wegen der verfassungsrechtlich festgeschriebenen Trennung der Zuständigkeiten von Zivil- und Katastrophenschutz. Positiv hervorzuheben ist, dass auf eine große Zahl an motivierten Helfern zurückgegriffen werden kann, auch wenn die genaue Zahl durch Doppelverpflichtungen nicht ganz klar ist.
Krisenmanager anderer Branchen können lernen, dass nicht nur nach negativen Anlässen Verbesserungen angestoßen werden sollten, sondern eine umfangreiche Planung und Vorbereitung für alle vorstellbaren und unvorstellbaren Ereignisse zu Friedenszeiten stattfinden muss. Interdisziplinäre und interprofessionelle Risikoanalysen sind hier essenziell. Daraus müssen sich dann Präventionsmassnahmen und Vorbereitungen auf Notlagen ableiten. Ich halte es hier wie Louis Pasteur: "Das Glück bevorzugt den, der vorbereitet ist."
Krisenmagazin: Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen rückt die Rolle der Krankenhäuser beim Zivilschutz bzw. bei der medizinischen Versorgung von Bürgern und Soldaten im Konflikt- und Kriegsfall in den Blickpunkt. Als Oberfeldarzt der Reserve bei der Bundeswehr kennen Sie beide Seiten der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Wie weit hat sich aus Ihrer Beobachtung das Gesundheitswesen schon auf die "Zeitenwende" eingestellt und wo muss noch nachgebessert werden?
Dr. Gerald Ripberger: Die sicherheitspolitische "Zeitenwende", wie sie seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wahrgenommen wird, hat das Gesundheitswesen ohne Frage erreicht. Allerdings läuft die operative Planung natürlich im Geheimen ab und in der Öffentlichkeit dominieren mehr die Debatten als die konkrete Umsetzung. Zwar existieren seit Jahren konzeptionelle Grundlagen wie die "Konzeption Zivile Verteidigung" von 2016. Doch diese wurden lange Zeit nicht praktisch operationalisiert. Erst mit der Eskalation in der Ukraine ist das Bewusstsein wieder deutlich gestiegen, was sich unter anderem in zahlreichen Fachveranstaltungen und einem verstärkten Austausch zwischen zivilen und militärischen Akteuren zeigt. Aktuell stellen sich nach meinem Empfinden nach dem Besuch derartiger Veranstaltungen allerdings mehr Fragen als sich Antworten finden lassen.
Gleichzeitig offenbaren sich jedoch gravierende strukturelle Defizite: Die aktuelle Krankenhausgesetzgebung berücksichtigt bislang weder Szenarien des Massenanfalls von Verletzten (MANV) im Verteidigungsfall, noch regelt sie klare Zuständigkeiten oder Führungsstrukturen. Ein dringend notwendiges Gesundheitsvorsorge- und Sicherstellungsgesetz konnte bislang nicht verabschiedet werden. Dabei wären gerade solche rechtlichen Rahmenbedingungen essenziell, um beispielsweise Führung, Personalplanung, Logistik, zivil-militärische Zusammenarbeit und verbindliche Übungspflichten verlässlich zu regeln – und zwar nicht erst im Spannungs- oder Verteidigungsfall, sondern bereits in Friedenszeiten. Was nicht in Friedenszeiten organisiert und beübt werden kann, wird in der Notsituation kaum funktionieren.
Ich mache mir auch Sorgen, da sich die derzeitigen Planungen naturgemäß stark auf die Versorgung von Kriegsverletzten konzentrieren, während die Sicherstellung der Versorgung von vulnerablen Gruppen wie chronisch Kranken oder pflegebedürftigen Menschen bislang kaum berücksichtigt wird. Mein Fazit lautet daher: Das Thema ist präsent, und das ist ein wichtiger Schritt. Doch zwischen Willensäußerungen und tatsächlicher Resilienz des Gesundheitssystems im Verteidigungsfall klafft noch eine deutliche Lücke. Diese muss dringend geschlossen werden – rechtlich, organisatorisch und praktisch.
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Stand der Informationen: 23. Juli 2025.
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