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RESTRUKTURIERUNGSMAGAZIN | |
Zeitschrift für Restrukturierung, Sanierung und strategische Unternehmensführung | ISSN 1867-7517 www.restrukturierungsmagazin.de |
Leinfelden-Echterdingen - Mitte April 2014 hat das Europäische Parlament nach langen Verhandlungen einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus ("Single Resolution Mechanism", SRM) für notleidende Banken beschlossen. Damit sollen bei Bankeninsolvenzen innerhalb der Eurozone künftig einheitliche Regeln angewandt und die Kosten für die Steuerzahler aus der Bankenrettung auf ein Minimum reduziert werden. Dr. Werner Gleißner, Vorstandsmitglied der FutureValue Group AG in Leinfelden-Echterdingen und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM), erläutert im Gespräch mit dem Restrukturierungsmagazin, welche Konsequenzen diese Regelungen für das Risikomanagement von Banken und die Kreditfinanzierung von Unternehmen haben.
Restrukturierungsmagazin: Nach den neuen Regelungen soll die Entscheidung über die Abwicklung eines Kreditinstituts künftig innerhalb von 24 Stunden getroffen werden können - auch am Wochenende. Die Tragfähigkeit einer Bank wird dabei von der Europäischen Zentralbank (EZB) beurteilt und die konkreten Abwicklungskonzepte von einer einheitlichen Abwicklungsbehörde ("Single Resolution Board", SRB) entwickelt. Inwieweit sollten Banken ihre Risikomanagementsysteme modifizieren, um nicht vorschnell in die Insolvenz geschickt zu werden?
Dr. Werner Gleißner: Aufgrund der relativen Intransparenz des Risikoumfangs einer Bank ist es am wichtigsten, im Notfall das Risikodeckungspotenzial schnell erhöhen zu können. Eine solche Verbesserung des Risikodeckungspotenzials lässt sich auch gegenüber Externen leichter zeigen. Hierbei sind insbesondere die neuen Coco-Bonds nützlich, denn diese Anleihen können prinzipiell auch kurzfristig in Eigenkapital und damit Risikodeckungspotenzial umgewandelt werden.
Für die Verbesserung des eigentlichen Risikomanagementsystems ist es zu empfehlen, sich nicht nur an regulatorischen Vorgaben auszurichten. Bei einem primär ökonomischen Fokus wird man vermutlich zu wesentlich kompakteren und methodisch hochwertigeren Modellen gelangen. Solche Modelle für die Risikoquantifizierung müssen nicht im Detail jede einzelne Risikoposition erfassen. Wichtiger ist es, beispielsweise auf eine adäquate Modellierung der wesentlichen Risikofaktoren zu achten – zum Beispiel durch die Berücksichtigung so genannter "Fat Tales" (also Abweichungen von der Normalverteilung) anstelle einer reinen Normalverteilungsannahme.
Zudem muss man sich intensiver mit den Meta-Risiken, Modellrisiken und Parameterunsicherheiten beschäftigen, also dem bisher vernachlässigten Sachverhalt, dass auch die Risikoeinschätzung selber risikobehaftet ist. Wer beispielsweise den Sachverhalt ignoriert, dass Modellparameter letztlich auch nur aus historischen Daten abgeleitete Schätzer sind, unterschätzt den tatsächlichen Risikoumfang und vernachlässigt möglicherweise Maßnahmen, die zur Abwehr einer Bankeninsolvenz nötig wäre.
Auch eine Weiterentwicklung der Performancemanagement-Systeme und risikoorientierten Bewertungsverfahren ist sicherlich angemessen. Insbesondere durch die noch immer dominierenden kapitalmarktorientierten Verfahren - beispielsweise auf Grundlage des sogenannten Capital Asset Pricing Modells (CAPM) - wird bei der Vorbereitung wichtiger Entscheidungen ein Abwägen erwarteter Erträge und Risiken nicht konsequent vorgenommen. Kapitalmarktbasierte Modelle gehen vielmehr davon aus, dass man aus historischen Aktienrenditeschwankungen (z.B. über den sogenannten Beta-Faktor) etwas über die zukünftigen Risiken lernen kann. Dies ist gemäß empirischer Studien nicht der Fall.
Im Sinne einer echten risiko- und wertorientierten Unternehmensführung ist es immer der Umfang der tatsächlichen Ertragsrisiken, der im Entscheidungskalkül zu berücksichtigen ist. Hier ist deshalb eine Weiterentwicklung bzw. noch konsequentere Anwendung bestehender Instrumente, wie beispielsweise des RORAC-Konzepts - empfehlenswert.
Restrukturierungsmagazin: Die neuen Regelungen sehen außerdem einen einheitlichen Abwicklungsfonds ("Single Resolution Fund", SRF) vor, der innerhalb von acht Jahren mit einem Gesamtvolumen von rund 55 Milliarden Euro aufgebaut wird. Diesen haben die Banken durch Abgaben in Höhe von einem Prozent ihrer gedeckten Einlagen selbst zu finanzieren. Wie wird sich dies auf die Kreditvergabe an die Unternehmen und deren eigenes Risikomanagement und Risikoreporting gegenüber den Banken auswirken?
Dr. Werner Gleißner: Ich vermute, dass dies keine allzu große Wirkung hat. Belastbare empirische Studien zu diesem Sachverhalt kenne ich jedoch nicht. Ein für die Kreditvergabepolitik wichtiger, und bisher etwas vernachlässigter Aspekt, ist die zukünftige Zinsstruktur. Meist wird etwas vereinfacht argumentiert, dass steigende Zinsen am langen Ende negativ für die Entwicklung der Geldmenge und des Kreditvolumens seien. Tatsächlich betrachtet diese Interpretation jedoch lediglich die Nachfrageseite.
Im Allgemeinen profitieren Banken, wenn der Abstand zwischen den langfristigen und den kurzfristigen Zinssätzen zunimmt. Eine Ausweitung der Zinsspanne schafft das Potenzial für höhere Bankerträge, die auch der Stärkung des Eigenkapitals zugute kommen, und damit auch das Interesse an einer verstärkten Kreditvergabe fördern. Banken verleihen im Allgemeinen Geld eben eher langfristig und refinanzieren sich kurzfristig.
Restrukturierungsmagazin: Im Fall einer Bankeninsolvenz gilt zukünftig eine Haftungskaskade mit einem "taxpayer bail-out". Danach müssen Eigentümer und Gläubiger der notleidenden Bank zunächst einen Beitrag von mindestens acht Prozent der Bilanzsumme geleistet haben, bevor Mittel aus dem einheitlichen Abwicklungsfonds bereitgestellt werden. Wie realistisch ist es, dass - angesichts der Volumina international tätiger Kreditinstitute - der Steuerzahler tatsächlich weitgehend außen vor bleibt?
Dr. Werner Gleißner: Die jetzt initiierten Maßnahmen dürften etwas mehr Sicherheit für den Steuerzahler bedeuten. Sie sind aber insgesamt meines Erachtens nicht ausreichend, um Risiken für den Steuerzahler tatsächlich abzuwenden. Will man dies tatsächlich erreichen, müssen grundsätzlich erst sämtliche Gläubiger zur Abdeckung der Verluste eines Kreditinstituts herangezogen werden. Gerade die dann aber auch notwendige Einbeziehung von Sparern, speziell der „kleinen Gläubiger“ mit Einlagen unter 100.000 Euro, stößt aber auf politischen Widerstand.
Natürlich sind auch Sparer Gläubiger. Aber die Sparer sind natürlich auch Wähler. Wenn grundsätzlich alle Gläubiger, inklusive der Sparer, bei Schieflage eines Kreditinstitutes umfassend herangezogen werden könnten, wären die Risiken der Steuerzahler stark reduzierbar. Die Gläubiger würden sich etwas mehr mit den Risiken der Banken auseinandersetzen und intensiver als bisher überlegen, wem man sein Geld anvertrauen kann.
© 2014 Krisennavigator. Alle Rechte vorbehalten.
Stand der Informationen: 30. Juni 2014.
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