Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 4 (April) - ISSN 1619-2389
 
 KRISENMAGAZIN
   Zeitschrift für Krisenmanagement,
   Krisenkommunikation und Krisentraining
   ISSN 1867-7541
   www.krisenmagazin.de

"Ein Blick zurück auf die bewährten Lösungen des Bevölkerungsschutzes kann sich durchaus lohnen"

Bad Homburg vor der Höhe - Am 10. September 2020, dem bundesweit ersten Warntag seit der Wiedervereinigung, blieben in vielen deutschen Städten die Sirenen wider Erwarten still. Nicht so in Bad Homburg. In der Kreisstadt im Taunus gaben die modernen Warnlautsprecher pünktlich ihre Signale ab. Im Gespräch mit dem "Krisenmagazin" erläutert Branddirektor Daniel Guischard, zugleich Fachbereichsleiter Bevölkerungsschutz und Leiter der Feuerwehr Bad Homburg, was die hessische Kreisstadt anders macht als viele andere Kommunen in Deutschland. Das Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM) skizziert auch, bei welchen weiteren Schwachpunkten im Katastrophenschutz in Deutschland möglichst bald nachgebessert werden sollte.

Krisenmagazin: Der Katastrophenschutz liegt in Deutschland seit rund 70 Jahren in der Hauptzuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte. Im Mai 2004 ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) für die Bund-Länder-Koordination hinzugekommen. Vor dem Hintergrund der laufenden Corona-Pandemie und der Warntag-Panne am 10. Sepember 2020: Wie würden Sie den Zustand des Katastrophenschutzes in Deutschland derzeit beschreiben?

Daniel Guischard: Wegen der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland haben sich die Gefahrenabwehr und der Katastrophenschutz über die Jahre hinweg recht heterogen entwickelt - mit Stärken und Schwächen. Auf der einen Seite führt die Anpassung an regionale Besonderheiten dazu, dass sich die Systeme meist näher am tatsächlichen Bedarf orientieren. Auf der anderen Seite mündet die Verankerung auf der Kreisebene in stark unterschiedlichen Ausbildungsniveaus und technischen Lösungen. Auch die individuellen, zum Teil konkurrierenden Interessen der beteiligten Organisationen sind dem eigentlichen Ziel einer übergreifenden Organisation der Gefahrenabwehr nicht immer dienlich.

Im derzeitigen System bedient sich der Katastrophenschutz außerdem im Kern der gleichen, überwiegend ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer wie die freiwillige Feuerwehr und andere Hilfsorganisationen. Daher halte ich die oft gehörte Annahme für problematisch, dass bei großflächigen Gefahrenlagen wie einem "Blackout" - zusätzlich zum Personal der täglichen Gefahrenabwehr aus der Feuerwehr - weitere nennenswerte Kräfte aus dem Katastrophenschutz mobilisierbar sind. Wer tatsächlich wieder resiliente Verwaltungsstrukturen wie ehemals im Zivilschutz schaffen möchte, hat hier aus kommunaler Sicht großen Aufklärungs- und Handlungsbedarf.

Krisenmagazin: Anders als in vielen anderen Kommunen in Deutschland heulten am bundesweit ersten Warntag seit der Wiedervereinigung, dem 10. September 2020, in Bad Homburg die Sirenen planmäßig. Was haben Sie anders gemacht als viele andere Kommunen, bei den es still geblieben ist?

Daniel Guischard: Weil derzeit die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene fehlen, haben wir in Bad Homburg vor der Höhe auf kommunaler Ebene frühzeitig Eigenvorsorge im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz betrieben. Bereits vor vier Jahren ist die Entscheidung gefallen, ein modernes Sirenennetz aufzubauen. Hierbei setzen wir nicht auf klassische Sirenen, sondern auf Lautsprecher. Damit können wir gezielter warnen und neben Warnsignalen auch Durchsagen übermitteln. Langfristig möchten wir ein flächendeckendes Netz mit 21 Lautsprecher-Standorten im gesamten Stadtgebiet schaffen.

Genau genommen setzen wir beim Thema "Warnung" eigentlich nur den gesetzlichen Auftrag nach dem Hessischen Brand- und Katastrophenschutzgesetz um. Hierbei arbeitet die kommunale Ebene eng mit dem Landkreis und dem Land Hessen zusammen. Im Rahmen unserer eigenen Zuständigkeit beobachten wir technische Entwicklungen sehr genau und hinterfragen diese kritisch. Hierbei zeigt sich oft, dass die steigende Komplexität neuer technischer Systeme sowohl die Abhängigkeit von externen Wissensträgern als auch die "Verwundbarkeit" des Gesamtsystems erhöht.

Ohne die notwendige Offenheit gegenüber neuen Ansätzen und Innovationsdynamik dämpfen zu wollen, finden sich in den alten Strukturen des Zivilschutzes oft interessante Anregungen für die Gestaltung eines leistungsfähigen, modernen Systems. Ein Blick zurück auf die bewährten Lösungen des Bevölkerungsschutzes kann sich also durchaus lohnen. Dies führt gelegentlich auch dazu, dass wir bewährte Systeme wieder einführen und damit Fehlentscheidungen aus der Vergangenheit korrigieren - wie die Aufgabe des Sirenensystems.

Krisenmagazin: Bei der Warnung der Bevölkerung setzt der Bund zunehmend auf Apps. Mit "Katwarn" und "Nina" kommen gleich zwei konkurrierende Systeme zum Einsatz. Bei Extremrisiken - wie einem langfristigen Stromausfall oder einem großflächigen Cyberangriff - könnte die digitale Alarmierung allerdings schwierig werden. Wie sollte aus Ihrer Sicht die Katastrophenkommunikation mit der Bevölkerung zukünftig organisiert sein?

Daniel Guischard: Die Vielfalt an Warnkanälen beschreibt sinnbildlich das Problem einer inflationären Verwendung von Alarmierungsinstrumenten, die eigentlich den Gefahrenabwehrbehörden vorbehalten bleiben sollten. Außerdem hat der alltägliche Gebrauch von Schlüsselbegriffen wie "Gefahr", "Krise" oder "Katastrophe" in unserer Sprache zu deren schleichender Entwertung geführt. Die zuweilen dramatischen Warnungen vor jahreszeitüblichen Wetterphänomenen wie Regen oder Schneefall sind hierfür ein gutes Beispiel.

Aus meiner Sicht kann Katastrophenkommunikation ihre Wirkung nur über den Markenwert des jeweiligen "Warn-Akteurs" entfalten - also über das Vertrauen der Menschen in die Quelle der Alarmierung. Aus dieser Perspektive haben die beim Warntag 2020 aufgetretenen Probleme zu einem erheblichen Vertrauensverlust gegenüber den staatlichen "Warn-Akteuren" geführt und sollten daher intensiv aufgearbeitet werden. Notfalls muss die Katastrophenkommunikation auf die Mechanismen des Marketings und der Werbekommunikation zurückgreifen, um die Seriosität der staatlichen "Warn-Akteure" zu bewahren bzw. wiederzugewinnen.

Katastrophenkommunikation lebt nicht zuletzt auch vom Dialog mit den Bürgern und der schnelle Reaktion auf Falschmeldungen. In Bad Homburg haben wir daher mehrere Kameraden der Feuerwehr zu einem sogenannten "Virtual Operations Support Team" (VOST) weitergebildet. Die Mitglieder des "VOST" sind vor allem in den sozialen Netzen unterwegs, reagieren auf Anfragen, achten auf Gerüchte und suchen gezielt nach Schlüsselwörtern - wie "Gefahr" und "Bad Homburg". Hierdurch möchten wir die Katastrophenkommunikation versachlichen und das Vertrauen der Menschen in uns als vertrauenswürdigen "Warn-Akteur" stärken.

© 2020 Krisennavigator. Alle Rechte vorbehalten.
Stand der Informationen: 11. Oktober 2020.


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
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Bad Homburg vor der Höhe - Am 10. September 2020, dem bundesweit ersten Warntag seit der Wiedervereinigung, blieben in vielen deutschen Städten die Sirenen wider Erwarten still. Nicht so in Bad Homburg. In der Kreisstadt im Taunus gaben die modernen Warnlautsprecher pünktlich ihre Signale ab. Im Gespräch mit dem "Krisenmagazin" erläutert Branddirektor Daniel Guischard, zugleich Fachbereichsleiter Bevölkerungsschutz und Leiter der Feuerwehr Bad Homburg, was die hessische Kreisstadt anders macht als viele andere Kommunen in Deutschland. Das Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM) skizziert auch, bei welchen weiteren Schwachpunkten im Katastrophenschutz in Deutschland möglichst bald nachgebessert werden sollte.

Krisenmagazin: Der Katastrophenschutz liegt in Deutschland seit rund 70 Jahren in der Hauptzuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte. Im Mai 2004 ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) für die Bund-Länder-Koordination hinzugekommen. Vor dem Hintergrund der laufenden Corona-Pandemie und der Warntag-Panne am 10. Sepember 2020: Wie würden Sie den Zustand des Katastrophenschutzes in Deutschland derzeit beschreiben?

Daniel Guischard: Wegen der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland haben sich die Gefahrenabwehr und der Katastrophenschutz über die Jahre hinweg recht heterogen entwickelt - mit Stärken und Schwächen. Auf der einen Seite führt die Anpassung an regionale Besonderheiten dazu, dass sich die Systeme meist näher am tatsächlichen Bedarf orientieren. Auf der anderen Seite mündet die Verankerung auf der Kreisebene in stark unterschiedlichen Ausbildungsniveaus und technischen Lösungen. Auch die individuellen, zum Teil konkurrierenden Interessen der beteiligten Organisationen sind dem eigentlichen Ziel einer übergreifenden Organisation der Gefahrenabwehr nicht immer dienlich.

Im derzeitigen System bedient sich der Katastrophenschutz außerdem im Kern der gleichen, überwiegend ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer wie die freiwillige Feuerwehr und andere Hilfsorganisationen. Daher halte ich die oft gehörte Annahme für problematisch, dass bei großflächigen Gefahrenlagen wie einem "Blackout" - zusätzlich zum Personal der täglichen Gefahrenabwehr aus der Feuerwehr - weitere nennenswerte Kräfte aus dem Katastrophenschutz mobilisierbar sind. Wer tatsächlich wieder resiliente Verwaltungsstrukturen wie ehemals im Zivilschutz schaffen möchte, hat hier aus kommunaler Sicht großen Aufklärungs- und Handlungsbedarf.

Krisenmagazin: Anders als in vielen anderen Kommunen in Deutschland heulten am bundesweit ersten Warntag seit der Wiedervereinigung, dem 10. September 2020, in Bad Homburg die Sirenen planmäßig. Was haben Sie anders gemacht als viele andere Kommunen, bei den es still geblieben ist?

Daniel Guischard: Weil derzeit die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene fehlen, haben wir in Bad Homburg vor der Höhe auf kommunaler Ebene frühzeitig Eigenvorsorge im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz betrieben. Bereits vor vier Jahren ist die Entscheidung gefallen, ein modernes Sirenennetz aufzubauen. Hierbei setzen wir nicht auf klassische Sirenen, sondern auf Lautsprecher. Damit können wir gezielter warnen und neben Warnsignalen auch Durchsagen übermitteln. Langfristig möchten wir ein flächendeckendes Netz mit 21 Lautsprecher-Standorten im gesamten Stadtgebiet schaffen.

Genau genommen setzen wir beim Thema "Warnung" eigentlich nur den gesetzlichen Auftrag nach dem Hessischen Brand- und Katastrophenschutzgesetz um. Hierbei arbeitet die kommunale Ebene eng mit dem Landkreis und dem Land Hessen zusammen. Im Rahmen unserer eigenen Zuständigkeit beobachten wir technische Entwicklungen sehr genau und hinterfragen diese kritisch. Hierbei zeigt sich oft, dass die steigende Komplexität neuer technischer Systeme sowohl die Abhängigkeit von externen Wissensträgern als auch die "Verwundbarkeit" des Gesamtsystems erhöht.

Ohne die notwendige Offenheit gegenüber neuen Ansätzen und Innovationsdynamik dämpfen zu wollen, finden sich in den alten Strukturen des Zivilschutzes oft interessante Anregungen für die Gestaltung eines leistungsfähigen, modernen Systems. Ein Blick zurück auf die bewährten Lösungen des Bevölkerungsschutzes kann sich also durchaus lohnen. Dies führt gelegentlich auch dazu, dass wir bewährte Systeme wieder einführen und damit Fehlentscheidungen aus der Vergangenheit korrigieren - wie die Aufgabe des Sirenensystems.

Krisenmagazin: Bei der Warnung der Bevölkerung setzt der Bund zunehmend auf Apps. Mit "Katwarn" und "Nina" kommen gleich zwei konkurrierende Systeme zum Einsatz. Bei Extremrisiken - wie einem langfristigen Stromausfall oder einem großflächigen Cyberangriff - könnte die digitale Alarmierung allerdings schwierig werden. Wie sollte aus Ihrer Sicht die Katastrophenkommunikation mit der Bevölkerung zukünftig organisiert sein?

Daniel Guischard: Die Vielfalt an Warnkanälen beschreibt sinnbildlich das Problem einer inflationären Verwendung von Alarmierungsinstrumenten, die eigentlich den Gefahrenabwehrbehörden vorbehalten bleiben sollten. Außerdem hat der alltägliche Gebrauch von Schlüsselbegriffen wie "Gefahr", "Krise" oder "Katastrophe" in unserer Sprache zu deren schleichender Entwertung geführt. Die zuweilen dramatischen Warnungen vor jahreszeitüblichen Wetterphänomenen wie Regen oder Schneefall sind hierfür ein gutes Beispiel.

Aus meiner Sicht kann Katastrophenkommunikation ihre Wirkung nur über den Markenwert des jeweiligen "Warn-Akteurs" entfalten - also über das Vertrauen der Menschen in die Quelle der Alarmierung. Aus dieser Perspektive haben die beim Warntag 2020 aufgetretenen Probleme zu einem erheblichen Vertrauensverlust gegenüber den staatlichen "Warn-Akteuren" geführt und sollten daher intensiv aufgearbeitet werden. Notfalls muss die Katastrophenkommunikation auf die Mechanismen des Marketings und der Werbekommunikation zurückgreifen, um die Seriosität der staatlichen "Warn-Akteure" zu bewahren bzw. wiederzugewinnen.

Katastrophenkommunikation lebt nicht zuletzt auch vom Dialog mit den Bürgern und der schnelle Reaktion auf Falschmeldungen. In Bad Homburg haben wir daher mehrere Kameraden der Feuerwehr zu einem sogenannten "Virtual Operations Support Team" (VOST) weitergebildet. Die Mitglieder des "VOST" sind vor allem in den sozialen Netzen unterwegs, reagieren auf Anfragen, achten auf Gerüchte und suchen gezielt nach Schlüsselwörtern - wie "Gefahr" und "Bad Homburg". Hierdurch möchten wir die Katastrophenkommunikation versachlichen und das Vertrauen der Menschen in uns als vertrauenswürdigen "Warn-Akteur" stärken.

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Stand der Informationen: 11. Oktober 2020.

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Letzte Aktualisierung: Mittwoch, 24. April 2024

       

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