Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 4 (April) - ISSN 1619-2389
 
 KRISENMAGAZIN
   Zeitschrift für Krisenmanagement,
   Krisenkommunikation und Krisentraining
   ISSN 1867-7541
   www.krisenmagazin.de

"An der Universität Wien arbeiten Kommunikation und Krisenstab eng abgestimmt"

Wien - Mit fast 90.000 Studierenden und knapp 10.000 Beschäftigten ist die Universität Wien die größte wissenschaftliche Hochschule in Österreich und eine der größten in Europa. Ob das Corona-Virus oder Cyberangriffe auf das Rechenzentrum, Demonstrationen gegen einzelne Hochschullehrer oder vereinzelte Fälle von Wissenschaftsbetrug - das Spektrum möglicher Krisenfälle an Universitäten ist riesig. Mag. Dr. Florian Feldbauer, MBA, leitet im Büro des Rektorats den Krisenstab der Universität Wien. Im Gespräch mit dem Krisenmagazin erläutert das Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM), wie die Prävention und Bewältigung von Krisenfällen und anderen Diskontinuitäten im Wissenschaftsbetrieb organisiert ist.

Krisenmagazin: Im Zuge der Corona-Pandemie hat die Universität Wien die Lehre für das gesamte Sommersemester 2020 auf "home-learning" umgestellt, Bibliotheken zeitweise geschlossen und den Forschungsbetrieb stark eingeschränkt. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie jetzt nach rund 100 Tagen "Unilockdown"?

Florian Feldbauer: Die Bereitschaft der Universitätsbeschäftigten aktiv daran mitzuwirken, dass die Universität Wien gut durch diese Krise kommt, hat mich sehr beeindruckt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: In diesem Sommersemester wurden die Lehrveranstaltungen von heute auf morgen online durchgeführt, damit den Studierenden - so gut es geht - kein Nachteil aus der Situation erwächst. Auch geprüft wird nun digital. Bisher fanden rund 50.000 Prüfungen auf diesem Wege statt.

Eine weitere Erkenntnis: Das vollkommene "Schließen" einer Universität geht von heute auf morgen. Unendlich mühsamer und langsamer ist dagegen der schrittweise und geplante Prozess des "Wiederhochfahrens". Die wirkliche Knochenarbeit hat dabei erst begonnen - mit der Vorbereitung auf das nächste Wintersemester. Da niemand die Rahmenbedingungen vorhersagen kann, sind wir jedenfalls auf vieles vorbereitet.

Krisenmagazin: Als Leiter des Krisenstabs koordinieren Sie das universitäre Krisenmanagement für fast 100.000 Menschen - aufgeteilt auf 15 Fakultäten, fünf Zentren sowie zahlreiche Dienstleistungseinrichtungen und Stabsstellen. Wie hat die Universität Wien angesichts dieser Dimensionen ihren Krisenstab organisiert und welche Regeln gelten für die Krisenkommunikation?

Florian Feldbauer: Wichtig ist mir vorab zu betonen, dass das Krisenmanagement nur ein Baustein eines umfassenden Konzepts einer sicheren Universität Wien ist. Prävention, Bedrohungs- und Notfallmanagement tragen viel dazu bei, dass nur wenige Ereignisse zu einer echten Krise werden.

Wir unterscheiden uns in der Organisation des Krisenmanagements gar nicht so sehr von außeruniversitären Institutionen. Natürlich sind in unserem Krisenstab Bereiche vertreten, die anderswo nicht existieren, aber an einer Universität nun einmal das Kerngeschäft betreffen - insbesondere der Bereich "Studium/Lehre". Das Krisenentscheidungsgremium ist an der Universität Wien das Rektorat, was dem Vorstand in anderen Organisationen entspricht.

Ein zentraler Punkt ist bei unserer Größe und Diversität tatsächlich die Krisenkommunikation. Das bedeutet im Fall der Universität Wien laufende Interaktionen des Rektorats mit den Führungskräften und vor allem die Nutzung unterschiedlicher Kanäle zur regelmäßigen und direkten Information der Universitätsangehörigen. Bei den Beschäftigten sind dies insbesondere das Intranet sowie Newsletter und Videos sowie bei den Studierenden E-Mails, das Web und Social Media.

In der derzeitigen Krise haben sich insbesondere Frage-Antwort-Kataloge und moderierte Webinare für Führungskräfte als sehr hilfreich herausgestellt. Gelernt aus Corona-Zeiten möchten wir die digitalen Interaktionsformate nun ausbauen. Insgesamt arbeiten an der Universität Wien Kommunikation und Krisenstab eng abgestimmt.

Krisenmagazin: Neben Ad-hoc-Krisen hat die Universität Wien regelmäßig auch schleichende Krisen und Konflikte zu bewältigen - beispielsweise wenn Aktivisten politischer Hochschulgruppen Vorlesungen blockieren. Als staatliche Universität müssen Sie einerseits einen Raum für kritische Diskurse bieten, andererseits aber auch den reibungslosen Lehrbetrieb gewährleisten. Wie meistern Sie diese Gratwanderung im Lichte einer zunehmenden Protestkultur in Europa?

Florian Feldbauer: Die Universität Wien hat, wie viele andere Universitäten weltweit, in den letzten Jahren mehrfach Erfahrungen mit Versuchen gemacht, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre einzuschränken - zum Beispiel indem Vorlesungen blockiert wurden. In jedem Fall wird zunächst versucht, das Ganze im Dialog zu lösen und alternative Diskussionsformate bereitzustellen. Dies führt nicht immer zum Erfolg. Leider musste in diesem Zusammenhang bereits mehrfach die Polizei an die Universität gerufen werden.

An der Diskurskultur wollen wir festhalten. Das Austragen unterschiedlicher Meinungen ist essentiell für eine Universität. Auch Konflikte können produktive Ergebnisse erbringen. Wichtig dabei ist, dass das Ganze ruhig und auch manchmal laut, aber stets friedlich und gewaltfrei über die Bühne geht. Gerade an einer Universität muss man aus meiner Sicht im Sinne des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns manches "ertragen", auch Dinge, die man nicht teilt und vielleicht sogar ablehnt.

© 2020 Krisennavigator. Alle Rechte vorbehalten.
Stand der Informationen: 01. Juli 2020.
Foto: Universität Wien/derknopfdruecker.com


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
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Wien - Mit fast 90.000 Studierenden und knapp 10.000 Beschäftigten ist die Universität Wien die größte wissenschaftliche Hochschule in Österreich und eine der größten in Europa. Ob das Corona-Virus oder Cyberangriffe auf das Rechenzentrum, Demonstrationen gegen einzelne Hochschullehrer oder vereinzelte Fälle von Wissenschaftsbetrug - das Spektrum möglicher Krisenfälle an Universitäten ist riesig. Mag. Dr. Florian Feldbauer, MBA, leitet im Büro des Rektorats den Krisenstab der Universität Wien. Im Gespräch mit dem Krisenmagazin erläutert das Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement e.V. (DGfKM), wie die Prävention und Bewältigung von Krisenfällen und anderen Diskontinuitäten im Wissenschaftsbetrieb organisiert ist.

Krisenmagazin: Im Zuge der Corona-Pandemie hat die Universität Wien die Lehre für das gesamte Sommersemester 2020 auf "home-learning" umgestellt, Bibliotheken zeitweise geschlossen und den Forschungsbetrieb stark eingeschränkt. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie jetzt nach rund 100 Tagen "Unilockdown"?

Florian Feldbauer: Die Bereitschaft der Universitätsbeschäftigten aktiv daran mitzuwirken, dass die Universität Wien gut durch diese Krise kommt, hat mich sehr beeindruckt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: In diesem Sommersemester wurden die Lehrveranstaltungen von heute auf morgen online durchgeführt, damit den Studierenden - so gut es geht - kein Nachteil aus der Situation erwächst. Auch geprüft wird nun digital. Bisher fanden rund 50.000 Prüfungen auf diesem Wege statt.

Eine weitere Erkenntnis: Das vollkommene "Schließen" einer Universität geht von heute auf morgen. Unendlich mühsamer und langsamer ist dagegen der schrittweise und geplante Prozess des "Wiederhochfahrens". Die wirkliche Knochenarbeit hat dabei erst begonnen - mit der Vorbereitung auf das nächste Wintersemester. Da niemand die Rahmenbedingungen vorhersagen kann, sind wir jedenfalls auf vieles vorbereitet.

Krisenmagazin: Als Leiter des Krisenstabs koordinieren Sie das universitäre Krisenmanagement für fast 100.000 Menschen - aufgeteilt auf 15 Fakultäten, fünf Zentren sowie zahlreiche Dienstleistungseinrichtungen und Stabsstellen. Wie hat die Universität Wien angesichts dieser Dimensionen ihren Krisenstab organisiert und welche Regeln gelten für die Krisenkommunikation?

Florian Feldbauer: Wichtig ist mir vorab zu betonen, dass das Krisenmanagement nur ein Baustein eines umfassenden Konzepts einer sicheren Universität Wien ist. Prävention, Bedrohungs- und Notfallmanagement tragen viel dazu bei, dass nur wenige Ereignisse zu einer echten Krise werden.

Wir unterscheiden uns in der Organisation des Krisenmanagements gar nicht so sehr von außeruniversitären Institutionen. Natürlich sind in unserem Krisenstab Bereiche vertreten, die anderswo nicht existieren, aber an einer Universität nun einmal das Kerngeschäft betreffen - insbesondere der Bereich "Studium/Lehre". Das Krisenentscheidungsgremium ist an der Universität Wien das Rektorat, was dem Vorstand in anderen Organisationen entspricht.

Ein zentraler Punkt ist bei unserer Größe und Diversität tatsächlich die Krisenkommunikation. Das bedeutet im Fall der Universität Wien laufende Interaktionen des Rektorats mit den Führungskräften und vor allem die Nutzung unterschiedlicher Kanäle zur regelmäßigen und direkten Information der Universitätsangehörigen. Bei den Beschäftigten sind dies insbesondere das Intranet sowie Newsletter und Videos sowie bei den Studierenden E-Mails, das Web und Social Media.

In der derzeitigen Krise haben sich insbesondere Frage-Antwort-Kataloge und moderierte Webinare für Führungskräfte als sehr hilfreich herausgestellt. Gelernt aus Corona-Zeiten möchten wir die digitalen Interaktionsformate nun ausbauen. Insgesamt arbeiten an der Universität Wien Kommunikation und Krisenstab eng abgestimmt.

Krisenmagazin: Neben Ad-hoc-Krisen hat die Universität Wien regelmäßig auch schleichende Krisen und Konflikte zu bewältigen - beispielsweise wenn Aktivisten politischer Hochschulgruppen Vorlesungen blockieren. Als staatliche Universität müssen Sie einerseits einen Raum für kritische Diskurse bieten, andererseits aber auch den reibungslosen Lehrbetrieb gewährleisten. Wie meistern Sie diese Gratwanderung im Lichte einer zunehmenden Protestkultur in Europa?

Florian Feldbauer: Die Universität Wien hat, wie viele andere Universitäten weltweit, in den letzten Jahren mehrfach Erfahrungen mit Versuchen gemacht, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre einzuschränken - zum Beispiel indem Vorlesungen blockiert wurden. In jedem Fall wird zunächst versucht, das Ganze im Dialog zu lösen und alternative Diskussionsformate bereitzustellen. Dies führt nicht immer zum Erfolg. Leider musste in diesem Zusammenhang bereits mehrfach die Polizei an die Universität gerufen werden.

An der Diskurskultur wollen wir festhalten. Das Austragen unterschiedlicher Meinungen ist essentiell für eine Universität. Auch Konflikte können produktive Ergebnisse erbringen. Wichtig dabei ist, dass das Ganze ruhig und auch manchmal laut, aber stets friedlich und gewaltfrei über die Bühne geht. Gerade an einer Universität muss man aus meiner Sicht im Sinne des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns manches "ertragen", auch Dinge, die man nicht teilt und vielleicht sogar ablehnt.

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