Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 4 (April) - ISSN 1619-2389
 

Unternehmenskrisen im Mittelstand -
Entwicklung, Symptome, Bewältigung

von Dr. Detlev W. Schlebusch, Norbert Volz
und Peggy Huke

Überblick

Krisen gehören zur Wirtschaftsentwicklung und sind Bestandteil des Werdens und Vergehens von Organisationen. Für Unternehmen bedeutet das: Krisen sind natürlicher Bestandteil ihrer Entwicklung. Sie treten auf bei Unterbrechung bzw. Verlangsamung des kontinuierlich notwendigen Anpassungsprozesses und manifestieren sich in ihrem Endzustand als Existenzkrise mit Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens. Falsch behandelt können sie sich auf ganze Konzerne ausdehnen und schlimmstenfalls zu Totalverlusten für Aktionäre, Gesellschafter, Mitarbeiter, Geschäftspartner und Kreditgeber führen.

Krisen und Unternehmensschieflagen entstehen nicht über Nacht, es sei denn, sie sind exogen bedingt, brechen also als unabwendbare "höhere Gewalt" über die Gesellschaft herein. Die Erfahrung zeigt, daß nur eine sehr geringe Zahl von Unternehmenszusammenbrüchen wirklich auf exogene Gründe zurückzuführen ist, sie werden allerdings gerne als Entschuldigung (Konjunktureinbruch usw.) benutzt. Die endogenen - hausgemachten - Krisenursachen sind erfahrungsgemäß in über 80 Prozent der Fälle entscheidend für den Niedergang eines mittelständischen Unternehmens.

Krisenentwicklung

Jedes Unternehmen folgt in seiner Entwicklung - besonders ausgeprägt ist dies bei inhabergeführten Mittelstandsunternehmen - der menschlichen und persönlichen Entwicklung der Führungsperson(en) und bildet in sich deren Stärken und Schwächen ab. Wer kennt nicht den technisch begabten Ingenieur als Firmenchef, der in früheren Jahren erfolgreiche Produkte entwickelte, auf deren Basis das Unternehmen lange prosperierte und der mit Älterwerden an Innovationskraft verliert, Unternehmensführung und Betriebswirtschaft stets nur ungern zur Kenntnis nahm und nunmehr nach kontinuierlichem Anstieg der Verschuldung vor dem Aus steht? Vermögen, Renommee, Arbeitsplätze und unternehmerisches Lebenswerk sind perdu:

  • Alles beginnt mit einigen zunächst scheinbar unbedeutenden Fehlentscheidungen. Beispiel: Als offensichtliche Maßnahme zur Personalkostensenkung wurde der Leiter Materialwirtschaft eines Fertigungsbetriebs nach seinem Ausscheiden nicht mehr ersetzt, statt dessen erfolgt die Beschaffung direkt durch die verbrauchenden Abteilungen des Unternehmens.´
  • Diese oftmals unerkannten bzw. zu spät korrigierten Fehler bringen Konsequenzen wirtschaftlicher Art hervor: unkontrollierte, überteuerte Materialbeschaffung ohne Vertragsmanagement, Rechnungs- und Qualitätskontrolle, hohe Vorratsbestände.
  • Die schleichende Ergebnisverschlechterung erzwingt in der Folge weitere Kompromißentscheidungen. Konsequenz: Aufschub notwendiger Wertberichtigungen auf Vorräte, Finanzierung durch Lieferantenkredit, keine Skontonutzung.
  • Der unweigerlich wachsende Ressourcenmangel (Geld, Ideen, qualifiziertes Personal) führt dann zu einem immer enger werdenden Korridor unternehmerischer Bewegungsfreiheit (Ultima Ratio: Antrag auf Kreditausweitung bei der Hausbank) und, falls ein Ausbruch durch Paradigmenwechsel wie Allianzbildung, Restrukturierung oder Fusion u.a. mißlingt, in die Sackgasse.

Aus dem Unternehmen wird ein Sanierungsfall und jeder fragt sich, wie es so weit kommen konnte.
 
Abbildung 1: Krisenentwicklung

Quelle: In Anlehnung an Ernst Czaplinsky, Grundlagen zur Sanierung im Mittelstand, Vortrag, Hannover, 1997.

Krisenursachen

Die Ursachen - nur endogene Ursachen werden hier betrachtet - sind nur scheinbar instrumentell beschreibar, allerdings in ihrer Vielfalt unzählig. Beliebt sind diffuse Gründe: Preisverfall, Konkurrenzdruck, Mitarbeiterschelte. Oder schon präziser: Lohnkostenniveau, Zinsbelastung, Vertriebsschwäche, Forderungsausfall, Investitionsauflagen u.v.a. Sicher, alle diese Faktoren erschweren unternehmerische Arbeit und verhindern, daß die Bäume in den Himmel wachsen. Ursachen für eine Unternehmenskrise sind sie nur in zweiter Linie.

Getreu der Regel: "Chancen und Risiken einer Unternehmung werden durch das Management bestimmt" sind die Ursachen für eine Krise fast immer in der Führungsetage zu finden. Hier wurden häufig in Zeiten wirtschaftlichen Erfolgs gar keine Entscheidungen bzw. Dispositionen getroffen, die sich mit Verzögerung nunmehr negativ auswirken. Wird die Lage schwierig und damit ungewohnt, kommen verschärfend psychologische Barrieren hinzu:

  • Kommunikation und Austausch mit den Mitarbeitern werden aus Scheu vor berechtigter Kritik vermieden.
      
  • Konstruktive Auseinandersetzungen im Führungskreis finden nicht mehr statt, auch wohlmeinende Kooperationspartner fühlen sich verprellt.
  • Fehlentscheidungen werden uminterpretiert und nicht mehr korrigiert.
  • Wichtige Entscheidungen werden mangels Kraft und innerer Lähmung nicht mehr umsetzt.
  • Das Prinzip Hoffnung überwiegt, die Anzahl der Dienstreisen des Chefs steigt und die Lage wird nach außen beschönigt dargestellt.
  • Bei den wenigen erzwungenen Krisengesprächen wird mit Ersatzursachen und sehr optimistischen Planungen argumentiert.
  • Diese verschobene Wirklichkeitswahrnehmung führt zu weiterer Isolation von wesentlichen Geschäftspartnern und letztendlich zum Abschied unter Druck.

Meist ist zu diesem Zeitpunkt bereits erheblicher Schaden eingetreten. Im positiven Fall ist das Unternehmen noch sanierungsfähig, fast immer jedoch unter Verlust von Arbeitsplätzen, Forderungen und Vermögen. Wie sonst soll in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit eine ausgeglichene Kostenstruktur als Plattform für einen Neustart geschaffen werden? Fazit: Die endogenen Ursachen einer Unternehmenskrise liegen fast immer in der Person des Chefs/Inhabers begründet. Die leistungswirtschaftlichen Auswirkungen wie Umsatzrückgang, Effizienzverlust usw. sind Folgen früherer Entscheidungen.

Krisensymptome

Drohende Schieflagen lassen sich frühzeitig sowohl im Unternehmen selbst als auch in seinen Außenbeziehungen an typischen Krisensymptomen erkennen. Neben den gängigen Methoden der Bilanzanalyse - eine ex post Betrachtung und deshalb für eine aktuelle Beurteilung der Lage nur ergänzend brauchbar - sind es aktuelle Ergebnisauswertungen aber auch insbesondere Erfahrungstatbestände, die eine Unternehmenskrise zunächst vermuten lassen.

In Anlehnung an das oben beschriebene psychologische Verhaltensmuster entwickelt sich die Ergebnisreihe eines Unternehmens bis zum Eintreten der akuten Schieflage häufig nach einem typischen Verlauf.

Abbildung 2: Unternehmensergebnis als Krisensymptom

Quelle: In Anlehnung an Jürgen Hauschildt, Krisendiagnose durch Bilanzanalyse, Köln, 1988.

Einem ersten Ergebniseinbruch folgt ein Aufschwung durch Aktivierung von Reserven und durch oberflächliche Kostensenkungsmaßnahmen. Fast immer geschieht dies jedoch zu Lasten langfristig notwendiger Erfolgsfaktoren (vgl. Beispiel Einkauf oben) und führt zu weiterem Vermögensverzehr. Es kommt zu einem kurzen Zwischenhoch, bei dem die Reserven als Ergebnis ausgekehrt werden, ohne daß die wahren Ursachen der früheren Ergebnisverschlechterung beseitigt worden wären. Sind diese Reserven aufgebraucht, trifft die mangelnde operative Performance das Unternehmen mit voller Wucht, es droht Insolvenz.

Weitere Krisenmerkmale, die dem außenstehenden Geschäftspartner zugänglich sind, lassen sich nach Beziehungspartnern kategorisieren. Und der selbstkritische Blick ins Innere des Unternehmens wird parallel dazu dem Insider Handlungsbedarf in vielen Funktionsbereichen aufzeigen. Beispielhaft für ein in die Jahre gekommenes Mittelstandsunternehmen stehe folgender Versuch einer Kategorisierung typischer Defizite:

Abbildung 3: Krisensymptome im Außenverhältnis

Kunden
  • höhere Skontoabzüge werden angeboten
  • häufige Sonderangebote
  • leichtere Preisverhandlungen
  • Sortimentsbreite wird unsystematisch
  • Sonderwünsche werden ohne Aufpreis akzeptiert
  • Termin- und Qualitätsprobleme
  • Vorabproduktion ohne Auftrag
  • durchschnittliches Bestellvolumen sinkt
  • einige wenige "Stammkunden"
Lieferanten
  • Verzicht auf Skontoausnutzung
  • überschrittene Zahlungsziele, Mahnungen
  • Auftragsstornierung
  • kleinere Bestellmengen
  • Bitte um Ratenzahlung
  • Wechsel der Lieferanten 
Kreditinstitute
  • Verzögerung der Vorlage von Jahresabschlüssen, -plänen, und monatliche Ergebnisrechnung/Kennzahlen
  • Überziehung der Kreditlimits
  • keine ausreichende Begründung für Überziehung
  • neue Kreditinstitute werden gesucht
  • Wechselproteste
  • Scheckrückgaben
Wirtschaftsprüfer / 
Steuerberater
  • Lagerbestände, RHB zu hoch
  • Bewertung unfertiger und Fertigerzeugnisse zu hoch
  • Lagerumschlag geringer
  • steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten werden nicht voll ausgenutzt
  • Nichtausnutzung legaler Möglichkeiten zur Rückstellungsbildung oder zu geringe Dotierung
  • verspätete Bilanzerstellung
  • Inventarisierungen zweifelhaft
Unternehmensberater
  • Führungskräfte wandern ab
  • Informationsmangel, kritische Bemerkungen
  • Kapazitätsauslastung schlechter
  • Pro-Kopf-Leistung schlechter
  • Deckungsbeiträge reduzieren sich
  • Rechnungswesen vernachlässigt
  • "Outfit" vernachlässigt
  • Investitions- und Reparaturstau

Quelle: In Anlehnung an Michael Harz / Heinz-Günter Hub / Eberhard Schlarb,
Sanierungs-Management, 1. Auflage, Düsseldorf, 1996.

Abbildung 4: Krisensymptome im Innenverhältnis

Management
  • Festhalten an früheren Konzeptionen
  • Mangel an Delegation
  • Entscheidungsschwäche
  • fehlende Kontrolle
  • Fluktuation des Mittelbaus
  • patriarchalischer Führungsstil
  • fehlendes Teamverhalten
  • Zahl und Dauer der Konferenzen steigt
  • Kommunikation reißt ab
  • heterogener Führungskreis
Personalwesen
  • mangelnde Motivation (innere Kündigung)
  • mangelnde Qualifikation
  • fehlende Personalplanung
  • Fluktuation der Leistungsträger
  • unklare Strukturen
  • Entlohnungssystem schürt Kritik
  • Aggressionsniveau steigt
  • Fehlzeiten verringern sich (Angst)
Absatzbereich
  • nicht marktgerechte Produkteigenschaft
  • kein bewußtes Portfolio/Sortiment
  • falsche Preispolitik
  • mangelhafter Service, Kundenorientierung
  • Vertriebswege unangepaßt
  • Vertriebsleistung ungenügend
  • sinkende Auftragsvolumina insgesamt und durchschnittlich
  • Außendienst resigniert
  • Vertreter wandern ab
Produktionsbereich
  • Bindung an eine einzige Produktgruppe
  • veraltete/unerprobte Technologie
  • unwirtschaftliche Eigenfertigung
  • Leerkapazitäten, Produktion auf Lager
  • Investitions-/Reparaturstau
  • Ablauforganisation in Unordnung
  • Termin- und Qualitätsprobleme
  • Verschiebung von teuren zu billigen Produkten
  • Ladenhütter
Organisation
  • unklare Aufgaben/Kompetenzen
  • keine laufende organisatorische Anpassung
  • Rechtsformnachteile
  • mangelnde Projektplanung / Kontrolle
  • Doppelarbeit
  • der Chef als "Nadelöhr"
  • Entscheidungsangst im Middle Management
Investition
  • zu frühe Investition
  • keine Investition
  • Fehleinschätzung des Investitionsvolumens
  • Realisierungsdefizite
  • Finanzierungsfehler
  • Desinvestition versäumt
Forschung /
Entwicklung
  • keine F+E
  • F+E ohne 
    - Schwerpunkt,
    - Planung,
    - Kontrolle,
    - ROI,
    - Ergebnis
  • Isolation im Betrieb
Beschaffung/
Logistik
  • starre Bindung an Lieferanten
  • zu hohe Kapazität und Kosten des Fuhrparks
  • Vertragsmanagement unzureichend
  • Mahnungen häufen sich
  • Lieferanten kürzen Zahlungsziele (eventuell Vorkasse)
Finanzen/
Controlling
  • Defizite in Kostenrechnung und Kalkulation
  • fehlende Finanzplanung
  • keine Frühwarnsysteme
  • hohe Zinsbelastung
  • Ad-hoc-Auswertungen immer kurzfristiger
  • lange OP-Listen
  • Gläubiger restriktiver
  • Verlangen nach Sicherheiten

Quelle: In Anlehnung an Michael Harz / Heinz-Günter Hub / Eberhard Schlarb, Sanierungs-Management, 1. Auflage, Düsseldorf, 1996.

Es mag eingewendet werden, daß hier ein unrealistisches Ideal als Bench Mark herangezogen ist. Sicher, auch ein florierendes Unternehmen nahe am Idealzustand wird Korrekturbedarf in dem einen oder anderen Punkt aufweisen. Solche punktuellen Schwächen lassen sich gezielt und schnell beseitigen. Anders bei Krisenunternehmen, die häufig mit einem verwucherten, ertragsarmen Garten zu vergleichen sind: Wildwuchs, Überalterung, Reparaturstau, Unordnung in den wichtigsten Unternehmensfunktionen.

Dies führt zurück zur Ausgangsaussage: Anpassung an sich verändernde Wirtschaftsbedingungen ist eine ständige Aufgabe des Unternehmens, die von innen heraus quer über das ganze Unternehmen hinweg geleistet werden muß. Daß hierfür nur eine ergebnisorientierte und offene Unternehmenskultur die Grundlage schafft, versteht sich von selbst. Erfolgt diese Anpassung nicht oder zu spät, häufen sich die punktuellen operativen Defizite. Mit der Zeit ist jedoch der gesamte Organismus betroffen. Die Schieflage ist unabwendbar und bedarf professioneller Behandlung, um das Schlimmste zu verhüten.

Krisenbewältigung

Nicht alle Beteiligten erkennen die Notwendigkeit kontinuierlicher und zeitgerechter unternehmerischer Korrekturmaßnahmen. Deshalb verwundert es auch nicht, daß selbst bei einer existenzbedrohenden Schieflage der Hilferuf häufig verspätet eintrifft. Grund ist die bereits beschriebene Kette von Verhaltensmustern. In über 80 Prozent der Fälle sind es die Gläubigerinstitute, die die Notbremse ziehen. Unternehmer verschließen sich sogar externer Hilfe mit zunehmender Gefährdung ihres Unternehmens, ein Phänomen, das es im Sinne aller Beteiligten zu überwinden gilt. Aus der eingeschränkten unternehmerischen Handlungsfähigkeit wird eine Zwangslage, das Problem wird nach eingeführten Regeln abgearbeitet.

Abbildung 5: Sanierungsablauf

Quelle: In Anlehnung an Ernst Czaplinsky, Grundlagen zur Sanierung im Mittelstand, Vortrag, Hannover, 1997.

Unternehmer und Führungskräfte bangen um ihr Renommee und um ihre soziale Existenz, Gesellschafter, Banken und Gläubiger befürchten Abschreibungsbedarf bei ihren Krediten bzw. Inanspruchnahme bei ihren Bürgschaften, Arbeitnehmer sorgen sich um ihren Arbeitsplatz.

Mit Hilfe einer Statusanalyse und darauf aufbauendem Sanierungskonzept werden Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit des "Patienten" untersucht und belegt. Hierbei kommt es auf die Belastbarkeit und Professionalität der unternehmerischen Aussage im Sanierungsplan an, die den Beteiligten als Entscheidungsgrundlage dient. Die Qualität des Sanierungskonzepts legt die zukünftige Entwicklung des Unternehmens fest.

Zu warnen ist hier vor bloßer "Bilanzsanierung" mit Forderungsverzichten der Gläubiger und Personalabbau zur Kostensenkung. Jede erfolgreiche Sanierung geht zuvorderst die inneren Ursachen der Krise an und bereinigt diese. Nur dann lohnen sich langfristig auch die Rettungsbeiträge der Beteiligten, wie Personalabbau, Lohneinbußen, Forderungsverzichte, fresh money usw.

Es ist die methodisch professionelle und doch mit unternehmerischen Offensivkomponenten angereicherte Handlungsweise der Entscheidungsträger, transparent kommuniziert, die das notwendige Vertrauen aller Betroffenen und ihr Engagement für eine zügige Problembewältigung zu erzeugen und zu erhalten vermag.

Für die durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen hat sich ein umfangreiches Erfahrungspotential gebildet, das es erlaubt, die häufig wiederkehrenden Handlungsnotwendigkeiten fast schon als allgemeingültigen, praxiserprobten Katalog zu listen. Dabei wird natürlich im Einzelfall zu entscheiden sein, welche Komponenten der Sanierungsarbeit anzugehen sind und mit welchen Prioritäten insbesondere im operativen Bereich.

Abbildung 6: Typische Restrukturierungsmaßnahmen bei Unternehmenskrisen

1.Erstellung eines Gutachtens zur Feststellung der Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit
2.Finanzplanung und Finanzdisposition
3.Verhandlungen mit Banken, Lieferanten und sonstigen Gläubigern
4.Außergerichtliche Vergleichsverhandlungen
5.Beantragung öffentlicher Subventionen
6.Umstellung bzw. Ergänzung konventioneller Kostenrechnungssysteme zur Aufdeckung von Verlustquellen
7.Einführung Deckungsbeitragsrechnung
8.Einführung eines Controlling-Systems mit Budgetierung und Reporting
9.Überprüfung der Marketingstrategie und -politik
10.Straffung der Sortimentsbreite und -tiefe
11.Umstrukturierung der inhaberbezogenen Organisation auf straffe Aufbau- und Ablauforganisation
12.Durchführung einer Gemeinkosten-Wertanalyse, insbesondere zum Abbau von Overhead-Kosten
13.Schließung oder Reduktion unrentabler Unternehmensbereiche
14.Entlassung oder gegebenenfalls Einstellung von Mitarbeitern
15.Einführung von Leistungsprämiensystemen
16.Durchführung von ABC/XYZ-Analysen zur Reduzierung von Lagerbeständen und zur Senkung der Materialkosten
17.Make-or-buy-Analysen zur Überprüfung von Fremdvergaben
18.Qualitätssicherung
19.Auflösung von Fertigungsengpässen und Reparaturstaus
20.Überprüfung der F+E-Aktivitäten
21.Einführung von Projektmanagement
22.Überprüfung und gegebenenfalls Veränderung der gesellschaftsrechtlichen Konstruktion zusammen mit Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsberater
23.Objektive Kompetenzregelung, insbesondere bei Familienunternehmen
24.Verhandlungen mit potentiellen Investoren bzw. Übernehmern
25.Einsatz eines Managers auf Zeit zur Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen
26.Einsatz eines Beirates zur Kontrolle des Sanierungsverlaufes

Quelle: Michael Harz / Heinz-Günter Hub / Eberhard Schlarb, Sanierungs-Management, 1. Auflage, Düsseldorf, 1996.

Ausschlaggebend für den Erfolg der Restrukturierung ist nunmehr die Qualität des Krisenmanagers vor Ort. Das ideale Persönlichkeitsprofil: Er ist meist Senior, nur der Sache verpflichtet, bindet mit hoher sozialer Kompetenz Führungsteam und Mitarbeiter in plausible gemeinsame Ziele ein, definiert mit ganzheitlichem Blick auf die inneren Defizite die strategisch passenden Korrekturmaßnahmen und geht methodisch professionell an deren zügige Umsetzung. Nach außen ist er standfeste, integere Vertrauensperson der Geschäftspartner. Er bringt alle Parteien regelmäßig an einen Tisch, sorgt für transparente Information über den Sanierungsfortschritt und überwindet die mit Bekanntwerden der Krise eingetretenen Irritationen.

Quelle

Dieser Beitrag wurde - mit freundlicher Genehmigung der Redaktion - der folgenden Publikation entnommen:

Die Bank - Zeitschrift für Bankpolitik und Bankpraxis, 39. Jahrgang (1999), Heft 7 (Juli), Seite 452 bis 456

Über die Autoren

Dr. Detlev W. Schlebusch ist Geschäftsführender Gesellschafter, Norbert Volz Vorsitzender des Beirats und Peggy Huke Projektassistentin der S+V Dr. Schlebusch, Volz + Cie. GmbH in Frankfurt/Main.

S+V Dr. Schlebusch, Volz + Cie. GmbH
- Krisenintervention -
Eschborner Landstraße 55
60489 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (0)69 97859 - 100
Telefax: +49 (0)69 97859 - 101
E-Mail: splusv@t-online.de

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
3. Jahrgang (2000), Ausgabe 2 (Februar)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
www.krisennavigator.de | E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de

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Unternehmenskrisen im Mittelstand -
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von Dr. Detlev W. Schlebusch, Norbert Volz
und Peggy Huke

Überblick

Krisen gehören zur Wirtschaftsentwicklung und sind Bestandteil des Werdens und Vergehens von Organisationen. Für Unternehmen bedeutet das: Krisen sind natürlicher Bestandteil ihrer Entwicklung. Sie treten auf bei Unterbrechung bzw. Verlangsamung des kontinuierlich notwendigen Anpassungsprozesses und manifestieren sich in ihrem Endzustand als Existenzkrise mit Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens. Falsch behandelt können sie sich auf ganze Konzerne ausdehnen und schlimmstenfalls zu Totalverlusten für Aktionäre, Gesellschafter, Mitarbeiter, Geschäftspartner und Kreditgeber führen.

Krisen und Unternehmensschieflagen entstehen nicht über Nacht, es sei denn, sie sind exogen bedingt, brechen also als unabwendbare "höhere Gewalt" über die Gesellschaft herein. Die Erfahrung zeigt, daß nur eine sehr geringe Zahl von Unternehmenszusammenbrüchen wirklich auf exogene Gründe zurückzuführen ist, sie werden allerdings gerne als Entschuldigung (Konjunktureinbruch usw.) benutzt. Die endogenen - hausgemachten - Krisenursachen sind erfahrungsgemäß in über 80 Prozent der Fälle entscheidend für den Niedergang eines mittelständischen Unternehmens.

Krisenentwicklung

Jedes Unternehmen folgt in seiner Entwicklung - besonders ausgeprägt ist dies bei inhabergeführten Mittelstandsunternehmen - der menschlichen und persönlichen Entwicklung der Führungsperson(en) und bildet in sich deren Stärken und Schwächen ab. Wer kennt nicht den technisch begabten Ingenieur als Firmenchef, der in früheren Jahren erfolgreiche Produkte entwickelte, auf deren Basis das Unternehmen lange prosperierte und der mit Älterwerden an Innovationskraft verliert, Unternehmensführung und Betriebswirtschaft stets nur ungern zur Kenntnis nahm und nunmehr nach kontinuierlichem Anstieg der Verschuldung vor dem Aus steht? Vermögen, Renommee, Arbeitsplätze und unternehmerisches Lebenswerk sind perdu:

Aus dem Unternehmen wird ein Sanierungsfall und jeder fragt sich, wie es so weit kommen konnte.
 
Abbildung 1: Krisenentwicklung

Quelle: In Anlehnung an Ernst Czaplinsky, Grundlagen zur Sanierung im Mittelstand, Vortrag, Hannover, 1997.

Krisenursachen

Die Ursachen - nur endogene Ursachen werden hier betrachtet - sind nur scheinbar instrumentell beschreibar, allerdings in ihrer Vielfalt unzählig. Beliebt sind diffuse Gründe: Preisverfall, Konkurrenzdruck, Mitarbeiterschelte. Oder schon präziser: Lohnkostenniveau, Zinsbelastung, Vertriebsschwäche, Forderungsausfall, Investitionsauflagen u.v.a. Sicher, alle diese Faktoren erschweren unternehmerische Arbeit und verhindern, daß die Bäume in den Himmel wachsen. Ursachen für eine Unternehmenskrise sind sie nur in zweiter Linie.

Getreu der Regel: "Chancen und Risiken einer Unternehmung werden durch das Management bestimmt" sind die Ursachen für eine Krise fast immer in der Führungsetage zu finden. Hier wurden häufig in Zeiten wirtschaftlichen Erfolgs gar keine Entscheidungen bzw. Dispositionen getroffen, die sich mit Verzögerung nunmehr negativ auswirken. Wird die Lage schwierig und damit ungewohnt, kommen verschärfend psychologische Barrieren hinzu:

Meist ist zu diesem Zeitpunkt bereits erheblicher Schaden eingetreten. Im positiven Fall ist das Unternehmen noch sanierungsfähig, fast immer jedoch unter Verlust von Arbeitsplätzen, Forderungen und Vermögen. Wie sonst soll in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit eine ausgeglichene Kostenstruktur als Plattform für einen Neustart geschaffen werden? Fazit: Die endogenen Ursachen einer Unternehmenskrise liegen fast immer in der Person des Chefs/Inhabers begründet. Die leistungswirtschaftlichen Auswirkungen wie Umsatzrückgang, Effizienzverlust usw. sind Folgen früherer Entscheidungen.

Krisensymptome

Drohende Schieflagen lassen sich frühzeitig sowohl im Unternehmen selbst als auch in seinen Außenbeziehungen an typischen Krisensymptomen erkennen. Neben den gängigen Methoden der Bilanzanalyse - eine ex post Betrachtung und deshalb für eine aktuelle Beurteilung der Lage nur ergänzend brauchbar - sind es aktuelle Ergebnisauswertungen aber auch insbesondere Erfahrungstatbestände, die eine Unternehmenskrise zunächst vermuten lassen.

In Anlehnung an das oben beschriebene psychologische Verhaltensmuster entwickelt sich die Ergebnisreihe eines Unternehmens bis zum Eintreten der akuten Schieflage häufig nach einem typischen Verlauf.

Abbildung 2: Unternehmensergebnis als Krisensymptom

Quelle: In Anlehnung an Jürgen Hauschildt, Krisendiagnose durch Bilanzanalyse, Köln, 1988.

Einem ersten Ergebniseinbruch folgt ein Aufschwung durch Aktivierung von Reserven und durch oberflächliche Kostensenkungsmaßnahmen. Fast immer geschieht dies jedoch zu Lasten langfristig notwendiger Erfolgsfaktoren (vgl. Beispiel Einkauf oben) und führt zu weiterem Vermögensverzehr. Es kommt zu einem kurzen Zwischenhoch, bei dem die Reserven als Ergebnis ausgekehrt werden, ohne daß die wahren Ursachen der früheren Ergebnisverschlechterung beseitigt worden wären. Sind diese Reserven aufgebraucht, trifft die mangelnde operative Performance das Unternehmen mit voller Wucht, es droht Insolvenz.

Weitere Krisenmerkmale, die dem außenstehenden Geschäftspartner zugänglich sind, lassen sich nach Beziehungspartnern kategorisieren. Und der selbstkritische Blick ins Innere des Unternehmens wird parallel dazu dem Insider Handlungsbedarf in vielen Funktionsbereichen aufzeigen. Beispielhaft für ein in die Jahre gekommenes Mittelstandsunternehmen stehe folgender Versuch einer Kategorisierung typischer Defizite:

Abbildung 3: Krisensymptome im Außenverhältnis

Kunden
  • höhere Skontoabzüge werden angeboten
  • häufige Sonderangebote
  • leichtere Preisverhandlungen
  • Sortimentsbreite wird unsystematisch
  • Sonderwünsche werden ohne Aufpreis akzeptiert
  • Termin- und Qualitätsprobleme
  • Vorabproduktion ohne Auftrag
  • durchschnittliches Bestellvolumen sinkt
  • einige wenige "Stammkunden"
Lieferanten
  • Verzicht auf Skontoausnutzung
  • überschrittene Zahlungsziele, Mahnungen
  • Auftragsstornierung
  • kleinere Bestellmengen
  • Bitte um Ratenzahlung
  • Wechsel der Lieferanten 
Kreditinstitute
  • Verzögerung der Vorlage von Jahresabschlüssen, -plänen, und monatliche Ergebnisrechnung/Kennzahlen
  • Überziehung der Kreditlimits
  • keine ausreichende Begründung für Überziehung
  • neue Kreditinstitute werden gesucht
  • Wechselproteste
  • Scheckrückgaben
Wirtschaftsprüfer / 
Steuerberater
  • Lagerbestände, RHB zu hoch
  • Bewertung unfertiger und Fertigerzeugnisse zu hoch
  • Lagerumschlag geringer
  • steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten werden nicht voll ausgenutzt
  • Nichtausnutzung legaler Möglichkeiten zur Rückstellungsbildung oder zu geringe Dotierung
  • verspätete Bilanzerstellung
  • Inventarisierungen zweifelhaft
Unternehmensberater
  • Führungskräfte wandern ab
  • Informationsmangel, kritische Bemerkungen
  • Kapazitätsauslastung schlechter
  • Pro-Kopf-Leistung schlechter
  • Deckungsbeiträge reduzieren sich
  • Rechnungswesen vernachlässigt
  • "Outfit" vernachlässigt
  • Investitions- und Reparaturstau

Quelle: In Anlehnung an Michael Harz / Heinz-Günter Hub / Eberhard Schlarb,
Sanierungs-Management, 1. Auflage, Düsseldorf, 1996.

Abbildung 4: Krisensymptome im Innenverhältnis

Management
  • Festhalten an früheren Konzeptionen
  • Mangel an Delegation
  • Entscheidungsschwäche
  • fehlende Kontrolle
  • Fluktuation des Mittelbaus
  • patriarchalischer Führungsstil
  • fehlendes Teamverhalten
  • Zahl und Dauer der Konferenzen steigt
  • Kommunikation reißt ab
  • heterogener Führungskreis
Personalwesen
  • mangelnde Motivation (innere Kündigung)
  • mangelnde Qualifikation
  • fehlende Personalplanung
  • Fluktuation der Leistungsträger
  • unklare Strukturen
  • Entlohnungssystem schürt Kritik
  • Aggressionsniveau steigt
  • Fehlzeiten verringern sich (Angst)
Absatzbereich
  • nicht marktgerechte Produkteigenschaft
  • kein bewußtes Portfolio/Sortiment
  • falsche Preispolitik
  • mangelhafter Service, Kundenorientierung
  • Vertriebswege unangepaßt
  • Vertriebsleistung ungenügend
  • sinkende Auftragsvolumina insgesamt und durchschnittlich
  • Außendienst resigniert
  • Vertreter wandern ab
Produktionsbereich
  • Bindung an eine einzige Produktgruppe
  • veraltete/unerprobte Technologie
  • unwirtschaftliche Eigenfertigung
  • Leerkapazitäten, Produktion auf Lager
  • Investitions-/Reparaturstau
  • Ablauforganisation in Unordnung
  • Termin- und Qualitätsprobleme
  • Verschiebung von teuren zu billigen Produkten
  • Ladenhütter
Organisation
  • unklare Aufgaben/Kompetenzen
  • keine laufende organisatorische Anpassung
  • Rechtsformnachteile
  • mangelnde Projektplanung / Kontrolle
  • Doppelarbeit
  • der Chef als "Nadelöhr"
  • Entscheidungsangst im Middle Management
Investition
  • zu frühe Investition
  • keine Investition
  • Fehleinschätzung des Investitionsvolumens
  • Realisierungsdefizite
  • Finanzierungsfehler
  • Desinvestition versäumt
Forschung /
Entwicklung
  • keine F+E
  • F+E ohne 
    - Schwerpunkt,
    - Planung,
    - Kontrolle,
    - ROI,
    - Ergebnis
  • Isolation im Betrieb
Beschaffung/
Logistik
  • starre Bindung an Lieferanten
  • zu hohe Kapazität und Kosten des Fuhrparks
  • Vertragsmanagement unzureichend
  • Mahnungen häufen sich
  • Lieferanten kürzen Zahlungsziele (eventuell Vorkasse)
Finanzen/
Controlling
  • Defizite in Kostenrechnung und Kalkulation
  • fehlende Finanzplanung
  • keine Frühwarnsysteme
  • hohe Zinsbelastung
  • Ad-hoc-Auswertungen immer kurzfristiger
  • lange OP-Listen
  • Gläubiger restriktiver
  • Verlangen nach Sicherheiten

Quelle: In Anlehnung an Michael Harz / Heinz-Günter Hub / Eberhard Schlarb, Sanierungs-Management, 1. Auflage, Düsseldorf, 1996.

Es mag eingewendet werden, daß hier ein unrealistisches Ideal als Bench Mark herangezogen ist. Sicher, auch ein florierendes Unternehmen nahe am Idealzustand wird Korrekturbedarf in dem einen oder anderen Punkt aufweisen. Solche punktuellen Schwächen lassen sich gezielt und schnell beseitigen. Anders bei Krisenunternehmen, die häufig mit einem verwucherten, ertragsarmen Garten zu vergleichen sind: Wildwuchs, Überalterung, Reparaturstau, Unordnung in den wichtigsten Unternehmensfunktionen.

Dies führt zurück zur Ausgangsaussage: Anpassung an sich verändernde Wirtschaftsbedingungen ist eine ständige Aufgabe des Unternehmens, die von innen heraus quer über das ganze Unternehmen hinweg geleistet werden muß. Daß hierfür nur eine ergebnisorientierte und offene Unternehmenskultur die Grundlage schafft, versteht sich von selbst. Erfolgt diese Anpassung nicht oder zu spät, häufen sich die punktuellen operativen Defizite. Mit der Zeit ist jedoch der gesamte Organismus betroffen. Die Schieflage ist unabwendbar und bedarf professioneller Behandlung, um das Schlimmste zu verhüten.

Krisenbewältigung

Nicht alle Beteiligten erkennen die Notwendigkeit kontinuierlicher und zeitgerechter unternehmerischer Korrekturmaßnahmen. Deshalb verwundert es auch nicht, daß selbst bei einer existenzbedrohenden Schieflage der Hilferuf häufig verspätet eintrifft. Grund ist die bereits beschriebene Kette von Verhaltensmustern. In über 80 Prozent der Fälle sind es die Gläubigerinstitute, die die Notbremse ziehen. Unternehmer verschließen sich sogar externer Hilfe mit zunehmender Gefährdung ihres Unternehmens, ein Phänomen, das es im Sinne aller Beteiligten zu überwinden gilt. Aus der eingeschränkten unternehmerischen Handlungsfähigkeit wird eine Zwangslage, das Problem wird nach eingeführten Regeln abgearbeitet.

Abbildung 5: Sanierungsablauf

Quelle: In Anlehnung an Ernst Czaplinsky, Grundlagen zur Sanierung im Mittelstand, Vortrag, Hannover, 1997.

Unternehmer und Führungskräfte bangen um ihr Renommee und um ihre soziale Existenz, Gesellschafter, Banken und Gläubiger befürchten Abschreibungsbedarf bei ihren Krediten bzw. Inanspruchnahme bei ihren Bürgschaften, Arbeitnehmer sorgen sich um ihren Arbeitsplatz.

Mit Hilfe einer Statusanalyse und darauf aufbauendem Sanierungskonzept werden Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit des "Patienten" untersucht und belegt. Hierbei kommt es auf die Belastbarkeit und Professionalität der unternehmerischen Aussage im Sanierungsplan an, die den Beteiligten als Entscheidungsgrundlage dient. Die Qualität des Sanierungskonzepts legt die zukünftige Entwicklung des Unternehmens fest.

Zu warnen ist hier vor bloßer "Bilanzsanierung" mit Forderungsverzichten der Gläubiger und Personalabbau zur Kostensenkung. Jede erfolgreiche Sanierung geht zuvorderst die inneren Ursachen der Krise an und bereinigt diese. Nur dann lohnen sich langfristig auch die Rettungsbeiträge der Beteiligten, wie Personalabbau, Lohneinbußen, Forderungsverzichte, fresh money usw.

Es ist die methodisch professionelle und doch mit unternehmerischen Offensivkomponenten angereicherte Handlungsweise der Entscheidungsträger, transparent kommuniziert, die das notwendige Vertrauen aller Betroffenen und ihr Engagement für eine zügige Problembewältigung zu erzeugen und zu erhalten vermag.

Für die durchzuführenden Sanierungsmaßnahmen hat sich ein umfangreiches Erfahrungspotential gebildet, das es erlaubt, die häufig wiederkehrenden Handlungsnotwendigkeiten fast schon als allgemeingültigen, praxiserprobten Katalog zu listen. Dabei wird natürlich im Einzelfall zu entscheiden sein, welche Komponenten der Sanierungsarbeit anzugehen sind und mit welchen Prioritäten insbesondere im operativen Bereich.

Abbildung 6: Typische Restrukturierungsmaßnahmen bei Unternehmenskrisen

1.Erstellung eines Gutachtens zur Feststellung der Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit
2.Finanzplanung und Finanzdisposition
3.Verhandlungen mit Banken, Lieferanten und sonstigen Gläubigern
4.Außergerichtliche Vergleichsverhandlungen
5.Beantragung öffentlicher Subventionen
6.Umstellung bzw. Ergänzung konventioneller Kostenrechnungssysteme zur Aufdeckung von Verlustquellen
7.Einführung Deckungsbeitragsrechnung
8.Einführung eines Controlling-Systems mit Budgetierung und Reporting
9.Überprüfung der Marketingstrategie und -politik
10.Straffung der Sortimentsbreite und -tiefe
11.Umstrukturierung der inhaberbezogenen Organisation auf straffe Aufbau- und Ablauforganisation
12.Durchführung einer Gemeinkosten-Wertanalyse, insbesondere zum Abbau von Overhead-Kosten
13.Schließung oder Reduktion unrentabler Unternehmensbereiche
14.Entlassung oder gegebenenfalls Einstellung von Mitarbeitern
15.Einführung von Leistungsprämiensystemen
16.Durchführung von ABC/XYZ-Analysen zur Reduzierung von Lagerbeständen und zur Senkung der Materialkosten
17.Make-or-buy-Analysen zur Überprüfung von Fremdvergaben
18.Qualitätssicherung
19.Auflösung von Fertigungsengpässen und Reparaturstaus
20.Überprüfung der F+E-Aktivitäten
21.Einführung von Projektmanagement
22.Überprüfung und gegebenenfalls Veränderung der gesellschaftsrechtlichen Konstruktion zusammen mit Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsberater
23.Objektive Kompetenzregelung, insbesondere bei Familienunternehmen
24.Verhandlungen mit potentiellen Investoren bzw. Übernehmern
25.Einsatz eines Managers auf Zeit zur Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen
26.Einsatz eines Beirates zur Kontrolle des Sanierungsverlaufes

Quelle: Michael Harz / Heinz-Günter Hub / Eberhard Schlarb, Sanierungs-Management, 1. Auflage, Düsseldorf, 1996.

Ausschlaggebend für den Erfolg der Restrukturierung ist nunmehr die Qualität des Krisenmanagers vor Ort. Das ideale Persönlichkeitsprofil: Er ist meist Senior, nur der Sache verpflichtet, bindet mit hoher sozialer Kompetenz Führungsteam und Mitarbeiter in plausible gemeinsame Ziele ein, definiert mit ganzheitlichem Blick auf die inneren Defizite die strategisch passenden Korrekturmaßnahmen und geht methodisch professionell an deren zügige Umsetzung. Nach außen ist er standfeste, integere Vertrauensperson der Geschäftspartner. Er bringt alle Parteien regelmäßig an einen Tisch, sorgt für transparente Information über den Sanierungsfortschritt und überwindet die mit Bekanntwerden der Krise eingetretenen Irritationen.

Quelle

Dieser Beitrag wurde - mit freundlicher Genehmigung der Redaktion - der folgenden Publikation entnommen:

Die Bank - Zeitschrift für Bankpolitik und Bankpraxis, 39. Jahrgang (1999), Heft 7 (Juli), Seite 452 bis 456

Über die Autoren

Dr. Detlev W. Schlebusch ist Geschäftsführender Gesellschafter, Norbert Volz Vorsitzender des Beirats und Peggy Huke Projektassistentin der S+V Dr. Schlebusch, Volz + Cie. GmbH in Frankfurt/Main.

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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
3. Jahrgang (2000), Ausgabe 2 (Februar)

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Letzte Aktualisierung: Donnerstag, 28. März 2024

       

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