Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 4 (April) - ISSN 1619-2389
 

"Acht Jahre in drei Tagen verspielt" -
Fehler der Regierungskommunikation in Spanien

Interview mit Dr. Bernd Schuppener und Peter-Alberto Behrens
von Frank Roselieb und Marion Dreher

Überblick

Bis zum 11. März 2004 schien ein Sieg der konservativen "Partido Popular" des regierenden Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar bei den Parlamentswahlen in Spanien sicher. Doch nach den Terroranschlägen auf Pendlerzüge in Madrid, bei denen fast 200 Menschen getötet und mindestens 1500 weitere verletzt wurden, kehrten sich die Verhältnisse grundlegend um. Die spanischen Wähler bescherten dem Sozialisten Jose Luis Rodriguez Zapatero - von deutschen Medien wegen seiner braven und spröden Art zuweilen als "spanischer Rudolf Scharping" (Quelle: www.spiegel.de) bezeichnet, am 14. März 2004 einen Überraschungssieg, obwohl dessen "Partido Socialista Obrero Espanol" noch eine Woche vor den Wahlen in Umfragen deutlich hinter der Regierungspartei gelegen hatte.

"Durch 72 Stunden aus Schweigen und Unterlassungen hat der scheidende spanische Ministerpräsident Jose Maria Aznar Sieg und Ehre verspielt", urteilt kurz und knapp die italienische Zeitung "La Repubblica". Auch von anderer Seite werden der Regierungspartei grobe Fehler bei der Krisenkommunikation nach den Anschlägen vorgeworfen. Sie soll - so der Vorwurf - Journalisten, Wähler und selbst die Vereinten Nationen vorsätzlich mit falschen Informationen versorgt haben. Zuletzt fühlte sich auch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden "von Spanien in die Irre geführt". Die spanische Regierung lenkte - möglicherweise aus wahltaktischen Überlegungen - frühzeitig den alleinigen Verdacht auf die baskische Separatistenorganisation ETA, obwohl schon frühzeitig Anhaltspunkte für eine Verwicklung des Terrornetzwerks al-Qaida erkennbar waren.

Welche kommunikativen Fehler hat die spanische Regierung zwischen dem 11. und 14. März 2004 gemacht? Welche Lehren lassen sich hieraus für die Informationspolitik von Regierungen in Krisenzeiten ziehen? Können die "zehn goldenen Regeln" erfolgreicher betrieblicher Krisen-PR überhaupt auf politische Parteien übertragen werden? Antworten auf diese und andere Fragen zur Regierungskommunikation bei Krisen und Katastrophen geben Dr. Bernd Schuppener von der Hering Schuppener Unternehmensberatung für Kommunikation GmbH aus Frankfurt am Main und Peter-Alberto Behrens von GCI Berlin. Die Fragen stellten Dipl.-Kfm. Frank Roselieb und Dipl.-Psych. Marion Dreher vom Krisennavigator - Institut für Krisenforschung aus Kiel.

"Falsche Kommunikationspolitik hat
Aznar den Wahlsieg gekostet."

Krisennavigator: Das Spektrum kommunikativer Täuschungsvorwürfe gegen Aznar reicht von bewusster Nicht-Veröffentlichung bereits vorliegender Untersuchungsergebnisse bis zur aktiven Weitergabe von falschen Informationen an Medien und Behörden. Welche konkreten Fehler hat die spanische Regierung in ihrer Kommunikationspolitik zwischen dem 11. und 14. März 2004 gemacht?

Dr. Bernd Schuppener: Aznar hat leider nur wenige "Fettnäpfe" ausgelassen. Zum einen erschien er erst sieben Stunden nach den Anschlägen vor den Fernsehkameras, zum anderen wurden offensichtliche Versuche der Beeinflussung führender Medien bekannt. Die Fehler Aznars betrafen dabei weniger das Issues Monitoring - also das Sammeln, Sichten und Analysieren von Kriseninformationen. Sie lagen vielmehr in der Krisenkommunikation - also darin, wie und nach welchen Kriterien diese Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben wurden. Diese zeitverzögerte, verzerrte und tendenziöse Kommunikationspolitik ist vermutlich für die Wahlniederlage der Partido Popular und ihres Kandidaten Mariano Rajoy verantwortlich. Der scheidende spanische Regierungschef hat es somit nicht geschafft, dem vergleichsweise professionellen Krisenmanagement der spanischen Behörden eine ebenso professionelle Krisenkommunikation gegenüberzustellen. Er muss sich vielmehr den Vorwurf gefallen lassen, die Krisenkommunikation wahlpolitischem Kalkül unterworfen zu haben.

Krisennavigator: Bereits im Dezember 2003 wurde ein 42seitiges Strategiepapier des Terrornetzwerks al-Qaida im Internet veröffentlicht. Darin heißt es wörtlich: "Wir müssen den größten Nutzen aus der Nähe des Wahltermins in Spanien ziehen" und "Spanien hält maximal zwei bis drei Anschläge aus, bevor es sich aus dem Irak zurückzieht". Hat angesichts dieser relativ klaren "schwachen Signale" das Frühwarnsystem der spanischen Regierung versagt?

Peter-Alberto Behrens: Hierbei müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden. Einerseits geht es um sicherheitspolitische Fragen und andererseits darum, wie man krisenfeste Kommunikationsstrukturen vorbeugend aufbaut und diese langfristig aufrecht erhält. In beiden Bereichen sind die Spanier leidgeprüft. Der spanische Geheimdienst CNI ist im Vorfeld des Attentats von Madrid gleich mehreren Hinweisen auf mögliche islamistisch-fundamentalistische Anschläge nachgegangen und hat auch Verhaftungen vorgenommen. Bereits wenige Stunden nach den Anschlägen distanzierte sich der Geheimdienst über die Medien öffentlich von der "ETA-Theorie" der spanischen Regierung. In Sachen "Kommunikationsstrukturen" konnten die spanische Verwaltung und das Innenministerium, der Zivilschutz und die Feuerwehr aus mehr als 30 Jahren ETA-Terror entsprechende Lehren ziehen. Dies haben die beteiligten Behörden nach den Ereignissen vom 11. März 2004 eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Krisennavigator: Unmittelbar nach seinem Wahlsieg hat der Sozialist Zapatero seine bereits vor der Wahl geäußerte Absicht bekräftigt, die spanischen Truppen zum 30. Juni 2004 aus dem Irak abzuziehen. Kritiker werfen ihm vor, damit die Terroristen zu den eigentlichen Wahlsiegern erklärt zu haben. Hätte Aznar die Wahlniederlage seiner Partei möglicherweise verhindern können, wenn er das Wahlversprechen Zapateros als falsches Signal im Kampf gegen den Terrorismus gebrandmarkt hätte?

Dr. Schuppener: Das glaube ich nicht. Erstens hat Mariano Rajoy, der Kandidat der unterlegenen Partido Popular, dies während des Wahlkampfs in Ansätzen versucht - und ist offenkundig gescheitert. Zweitens war allen innerhalb der Regierungspartei bewusst, dass sie mit ihrem Irak-Engagement fast 90 Prozent der spanischen Bevölkerung gegen sich aufgebracht hatten. Im März 2003, als sich Aznar für eine aktive Intervention an der Seite der USA entschieden hat, schlug er alle Bedenken in den Wind und signalisierte damit seine Dialogunwilligkeit. Die Spanier wollten jedoch als Bürger bei einer solch wichtigen Frage ernst genommen werden und nahmen eine der Regierung diametral entgegen gesetzte Position ein. Hätten Jose Maria Aznar und Mariano Rajoy dieses Thema während des Wahlkampfs erneut auf die Tagesordnung gesetzt, wären sie gänzlich unglaubwürdig geworden. Außerdem sprach sich Wahlsieger Rodriguez Zapatero zu keinem Zeitpunkt grundsätzlich gegen ein spanisches Engagement im Irak aus, sondern hat dieses vielmehr an eine entsprechende UN-Resolution geknüpft.

"Die Legitimation politischer Ziele lebt davon,
wie glaubwürdig sie vermittelt werden."

Krisennavigator: Bereits vor den Anschlägen im März 2004 wurde Aznar eine manipulative Informationspolitik vorgeworfen. So soll die spanische Regierungspartei beim Untergang des Öltankers "Prestige" im November 2002 das Ausmaß der wahren Katastrophe bewusst heruntergespielt haben. Wurde diese alte Wunde durch die erneuten Kommunikationsfehler nach den Terroranschlägen womöglich wieder aufgerissen?

Behrens: Der 11. März 2004 ist in kommunikativer Hinsicht nichts weiter als ein zusätzliches - und vielleicht endgültiges - Kapitel der missglückten Informationspolitik der Regierung Aznar. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass sich der scheidende Regierungschef dank seines eigenwilligen Kommunikationsstils und autoritären Führungsverhaltens in der spanischen Verwaltung "erfolgreich" durchgesetzt hat. Die Reaktion der spanischen Bevölkerung auf diesen überholten Habitus war deutlich genug. In einem Interview mit Spiegel TV umschrieb Jose Comas, Korrespondent der Tageszeitung El Pais, diese Haltung mit den Worten "No somos tontos!" - zu deutsch: die Spanier lassen sich nicht länger für dumm verkaufen.

Krisennavigator: Als wenige Tage nach den Terroranschlägen in Spanien das "Kommando Mowsar Barajew" wegen des Verbots islamischer Kopftücher in französischen Schulen mit Attentaten drohte, hat die Regierung in Paris sofort umfassende Maßnahmen zur Krisenbewältigung eingeleitet. Birgt diese "lehrbuchgerechte" französische Krisenkommunikation nicht das Risiko, die Bevölkerung zu hypersensibilisieren und den Terroristen eine Bühne für ihre Aktionen zu bieten?

Dr. Schuppener: Die Gefahr möglicher Terroranschläge ist in den Köpfen der Bevölkerung allgegenwärtig und die Bühne spätestens seit dem Anschlag auf das World Trade Center aufgebaut. Auch wenn niemand unmittelbar glaubt, selbst Opfer eines Terroranschlags zu werden, müssen die latent vorhandenen Ängste der Menschen ernst genommen werden. Daher ist es unerlässlich, dass die europäischen Regierungen auf dieser Bühne eine aktive Rolle spielen. Inwieweit dies durch offen wahrnehmbare Demonstrationen staatlicher Macht oder abseits der Öffentlichkeit - beispielsweise mittels verdeckter Operationen - geschieht, ist immer eine Gratwanderung und sollte in jedem Fall individuell entschieden werden.

Krisennavigator: Anfang November 2004 finden in den USA Präsidentschaftswahlen statt. Auch George W. Bush wird - genau wie Aznar - eine irreführende Informationspolitik im Vorfeld des Irakkriegs vorgeworfen. Welche Aspekte sollte der amtierende US-Präsident bei seiner Kommunikationsarbeit berücksichtigen, um ein ähnliches Wahldebakel wie in Spanien zu verhindern?

Behrens: Ein Vergleich fällt schwer, da jedes politische System anders "tickt" und sich folglich auch die Kommunikation unterscheidet. Grundsätzlich lebt die Legitimation politischer Ziele in demokratischen Staaten davon, wie glaubwürdig sie vermittelt werden. Zweifellos entsprach Aznars Haltung zum Irak-Krieg seiner eigenen legitimen Überzeugung - auch wenn man diese vielleicht nicht teilt. Unglaubwürdig wird eine Regierung dann, wenn sie die Mehrheit der Wähler nicht mehr durch die Kraft ihrer eigenen Argumente hinter sich bringen kann und damit auch das verfolgte politische Ziel an Legitimität verliert. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass Regierungskommunikation entweder glaubwürdig ist, oder dass sie dazu beiträgt, die eigene Regierung abzusetzen. George W. Bush sollte sich das Schicksal Aznars vor dem Hintergrund seiner eigenen Argumentation für den Irak-Krieg durchaus vor Augen halten. Mit der simplen Aufteilung der Welt in Gut und Böse raubt sich Bush selbst die Möglichkeit, differenziert zu kommunizieren. Bei vielen Menschen in den USA schwindet damit automatisch auch seine Glaubwürdigkeit - und damit seine Chance auf Wiederwahl.

"Regierungskommunikation ist die krisenanfälligste
aller Kommunikationsdisziplinen."

Krisennavigator: Vor Aznar sind auch schon andere Politiker im Vorfeld von Wahlen über ihre elementaren Fehler in der Krisenkommunikation gestolpert. Beispielhaft genannt seien der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel und der US-Präsident Richard Nixon. Worin liegen die besonderen Herausforderungen der politischen Krisenbewältigung?

Dr. Schuppener: Krisen in der Politik unterscheiden sich deutlich von Unternehmenskrisen. Politische Institutionen sind dem Allgemeinwohl und damit allen Staatsbürgern verpflichtet. Krisenhafte Entwicklungen betreffen folglich die gesamte Bevölkerung. Demgegenüber kann sich ein Unternehmen in einem Krisenfall auf bestimmte Zielgruppen fokussieren - beispielsweise auf die Nachbarschaft eines Chemiewerks oder die Käufer eines spezifischen Produkts. Ebenso haben Unternehmen die Möglichkeit, Krisenthemen (Issues) einzugrenzen, sei es durch das Analysieren von Krisenszenarien oder ein intelligentes Issues Management. Dies fällt politischen Institutionen ungleich schwerer, denn die von politischen Krisen betroffenen Themen und Menschen sind deutlich zahlreicher. Außerdem laufen Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse in der Politik viel verzweigter ab und sind meist dezentral, "basisdemokratisch" organisiert. Dadurch bieten sie einzelnen Politikern die Gelegenheit, "aus der Reihe zu tanzen". Auch der Mensch hinter einer politischen Entscheidung tritt viel stärker in den Fokus der Medien als der Unternehmensführer hinter einer betrieblichen Entscheidung. Sicherlich kann in einer Mediengesellschaft Reduktion von Komplexität dazu beitragen, Botschaften besser verständlich zu machen. Wenn es um Sympathie und Glaubwürdigkeit von Menschen - insbesondere Politikern - geht, erhöht Differenziertheit jedoch den Erfolg. Angesichts dieser inhaltlichen Besonderheiten ist Regierungskommunikation sicherlich die krisenanfälligste aller Kommunikationsdisziplinen.

Krisennavigator: Krisenkommunikation in der Politik scheint eigenen Gesetzen zu unterliegen. Welche Maßnahmen zur Krisenprävention kann man Regierungen empfehlen, damit sie im Ernstfall angemessen reagieren können?

Behrens: Ein Muss ist sicherlich das Einrichten entsprechender Strukturen. Viele Behörden und Institutionen haben diese Tatsache erkannt und entsprechend gehandelt. Beispielhaft genannt sei die hervorragende Krisenkommunikation des Auswärtigen Amtes. Über diese logistischen und organisatorischen Mindestanforderungen hinaus sollten politische Institutionen darüber nachdenken, wie sie ihre Glaubwürdigkeit, langfristig, gezielt und systematisch in die Kommunikation einbringen können. Bei Themen, die die Allgemeinheit betreffen, ist Glaubwürdigkeit stets die einzige Währung, die zählt.

Krisennavigator: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Ansprechpartner

Dr. Bernd Schuppener
Hering Schuppener Unternehmensberatung
für Kommunikation GmbH
Mainzer Landstrasse 43-45
D-60329 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (0)69 921 874 - 0
Telefax: +49 (0)69 921 874 - 60
Internet: www.heringschuppener.com
E-Mail: bschuppener@heringschuppener.com

 
Peter-Alberto Behrens
GCI Berlin
Leuschnerdamm 31
D-10999 Berlin
Telefon: +49 (0)30 61 68 42 - 03
Telefax: +49 (0)30 61 68 42 - 23
Internet: www.gci-berlin.de
E-Mail: pa.behrens@gci-berlin.de

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
7. Jahrgang (2004), Ausgabe 4 (April)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
www.krisennavigator.de | E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de

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"Acht Jahre in drei Tagen verspielt" -
Fehler der Regierungskommunikation in Spanien

Interview mit Dr. Bernd Schuppener und Peter-Alberto Behrens
von Frank Roselieb und Marion Dreher

Überblick

Bis zum 11. März 2004 schien ein Sieg der konservativen "Partido Popular" des regierenden Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar bei den Parlamentswahlen in Spanien sicher. Doch nach den Terroranschlägen auf Pendlerzüge in Madrid, bei denen fast 200 Menschen getötet und mindestens 1500 weitere verletzt wurden, kehrten sich die Verhältnisse grundlegend um. Die spanischen Wähler bescherten dem Sozialisten Jose Luis Rodriguez Zapatero - von deutschen Medien wegen seiner braven und spröden Art zuweilen als "spanischer Rudolf Scharping" (Quelle: www.spiegel.de) bezeichnet, am 14. März 2004 einen Überraschungssieg, obwohl dessen "Partido Socialista Obrero Espanol" noch eine Woche vor den Wahlen in Umfragen deutlich hinter der Regierungspartei gelegen hatte.

"Durch 72 Stunden aus Schweigen und Unterlassungen hat der scheidende spanische Ministerpräsident Jose Maria Aznar Sieg und Ehre verspielt", urteilt kurz und knapp die italienische Zeitung "La Repubblica". Auch von anderer Seite werden der Regierungspartei grobe Fehler bei der Krisenkommunikation nach den Anschlägen vorgeworfen. Sie soll - so der Vorwurf - Journalisten, Wähler und selbst die Vereinten Nationen vorsätzlich mit falschen Informationen versorgt haben. Zuletzt fühlte sich auch das Bundeskriminalamt in Wiesbaden "von Spanien in die Irre geführt". Die spanische Regierung lenkte - möglicherweise aus wahltaktischen Überlegungen - frühzeitig den alleinigen Verdacht auf die baskische Separatistenorganisation ETA, obwohl schon frühzeitig Anhaltspunkte für eine Verwicklung des Terrornetzwerks al-Qaida erkennbar waren.

Welche kommunikativen Fehler hat die spanische Regierung zwischen dem 11. und 14. März 2004 gemacht? Welche Lehren lassen sich hieraus für die Informationspolitik von Regierungen in Krisenzeiten ziehen? Können die "zehn goldenen Regeln" erfolgreicher betrieblicher Krisen-PR überhaupt auf politische Parteien übertragen werden? Antworten auf diese und andere Fragen zur Regierungskommunikation bei Krisen und Katastrophen geben Dr. Bernd Schuppener von der Hering Schuppener Unternehmensberatung für Kommunikation GmbH aus Frankfurt am Main und Peter-Alberto Behrens von GCI Berlin. Die Fragen stellten Dipl.-Kfm. Frank Roselieb und Dipl.-Psych. Marion Dreher vom Krisennavigator - Institut für Krisenforschung aus Kiel.

"Falsche Kommunikationspolitik hat
Aznar den Wahlsieg gekostet."

Krisennavigator: Das Spektrum kommunikativer Täuschungsvorwürfe gegen Aznar reicht von bewusster Nicht-Veröffentlichung bereits vorliegender Untersuchungsergebnisse bis zur aktiven Weitergabe von falschen Informationen an Medien und Behörden. Welche konkreten Fehler hat die spanische Regierung in ihrer Kommunikationspolitik zwischen dem 11. und 14. März 2004 gemacht?

Dr. Bernd Schuppener: Aznar hat leider nur wenige "Fettnäpfe" ausgelassen. Zum einen erschien er erst sieben Stunden nach den Anschlägen vor den Fernsehkameras, zum anderen wurden offensichtliche Versuche der Beeinflussung führender Medien bekannt. Die Fehler Aznars betrafen dabei weniger das Issues Monitoring - also das Sammeln, Sichten und Analysieren von Kriseninformationen. Sie lagen vielmehr in der Krisenkommunikation - also darin, wie und nach welchen Kriterien diese Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben wurden. Diese zeitverzögerte, verzerrte und tendenziöse Kommunikationspolitik ist vermutlich für die Wahlniederlage der Partido Popular und ihres Kandidaten Mariano Rajoy verantwortlich. Der scheidende spanische Regierungschef hat es somit nicht geschafft, dem vergleichsweise professionellen Krisenmanagement der spanischen Behörden eine ebenso professionelle Krisenkommunikation gegenüberzustellen. Er muss sich vielmehr den Vorwurf gefallen lassen, die Krisenkommunikation wahlpolitischem Kalkül unterworfen zu haben.

Krisennavigator: Bereits im Dezember 2003 wurde ein 42seitiges Strategiepapier des Terrornetzwerks al-Qaida im Internet veröffentlicht. Darin heißt es wörtlich: "Wir müssen den größten Nutzen aus der Nähe des Wahltermins in Spanien ziehen" und "Spanien hält maximal zwei bis drei Anschläge aus, bevor es sich aus dem Irak zurückzieht". Hat angesichts dieser relativ klaren "schwachen Signale" das Frühwarnsystem der spanischen Regierung versagt?

Peter-Alberto Behrens: Hierbei müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden. Einerseits geht es um sicherheitspolitische Fragen und andererseits darum, wie man krisenfeste Kommunikationsstrukturen vorbeugend aufbaut und diese langfristig aufrecht erhält. In beiden Bereichen sind die Spanier leidgeprüft. Der spanische Geheimdienst CNI ist im Vorfeld des Attentats von Madrid gleich mehreren Hinweisen auf mögliche islamistisch-fundamentalistische Anschläge nachgegangen und hat auch Verhaftungen vorgenommen. Bereits wenige Stunden nach den Anschlägen distanzierte sich der Geheimdienst über die Medien öffentlich von der "ETA-Theorie" der spanischen Regierung. In Sachen "Kommunikationsstrukturen" konnten die spanische Verwaltung und das Innenministerium, der Zivilschutz und die Feuerwehr aus mehr als 30 Jahren ETA-Terror entsprechende Lehren ziehen. Dies haben die beteiligten Behörden nach den Ereignissen vom 11. März 2004 eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Krisennavigator: Unmittelbar nach seinem Wahlsieg hat der Sozialist Zapatero seine bereits vor der Wahl geäußerte Absicht bekräftigt, die spanischen Truppen zum 30. Juni 2004 aus dem Irak abzuziehen. Kritiker werfen ihm vor, damit die Terroristen zu den eigentlichen Wahlsiegern erklärt zu haben. Hätte Aznar die Wahlniederlage seiner Partei möglicherweise verhindern können, wenn er das Wahlversprechen Zapateros als falsches Signal im Kampf gegen den Terrorismus gebrandmarkt hätte?

Dr. Schuppener: Das glaube ich nicht. Erstens hat Mariano Rajoy, der Kandidat der unterlegenen Partido Popular, dies während des Wahlkampfs in Ansätzen versucht - und ist offenkundig gescheitert. Zweitens war allen innerhalb der Regierungspartei bewusst, dass sie mit ihrem Irak-Engagement fast 90 Prozent der spanischen Bevölkerung gegen sich aufgebracht hatten. Im März 2003, als sich Aznar für eine aktive Intervention an der Seite der USA entschieden hat, schlug er alle Bedenken in den Wind und signalisierte damit seine Dialogunwilligkeit. Die Spanier wollten jedoch als Bürger bei einer solch wichtigen Frage ernst genommen werden und nahmen eine der Regierung diametral entgegen gesetzte Position ein. Hätten Jose Maria Aznar und Mariano Rajoy dieses Thema während des Wahlkampfs erneut auf die Tagesordnung gesetzt, wären sie gänzlich unglaubwürdig geworden. Außerdem sprach sich Wahlsieger Rodriguez Zapatero zu keinem Zeitpunkt grundsätzlich gegen ein spanisches Engagement im Irak aus, sondern hat dieses vielmehr an eine entsprechende UN-Resolution geknüpft.

"Die Legitimation politischer Ziele lebt davon,
wie glaubwürdig sie vermittelt werden."

Krisennavigator: Bereits vor den Anschlägen im März 2004 wurde Aznar eine manipulative Informationspolitik vorgeworfen. So soll die spanische Regierungspartei beim Untergang des Öltankers "Prestige" im November 2002 das Ausmaß der wahren Katastrophe bewusst heruntergespielt haben. Wurde diese alte Wunde durch die erneuten Kommunikationsfehler nach den Terroranschlägen womöglich wieder aufgerissen?

Behrens: Der 11. März 2004 ist in kommunikativer Hinsicht nichts weiter als ein zusätzliches - und vielleicht endgültiges - Kapitel der missglückten Informationspolitik der Regierung Aznar. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass sich der scheidende Regierungschef dank seines eigenwilligen Kommunikationsstils und autoritären Führungsverhaltens in der spanischen Verwaltung "erfolgreich" durchgesetzt hat. Die Reaktion der spanischen Bevölkerung auf diesen überholten Habitus war deutlich genug. In einem Interview mit Spiegel TV umschrieb Jose Comas, Korrespondent der Tageszeitung El Pais, diese Haltung mit den Worten "No somos tontos!" - zu deutsch: die Spanier lassen sich nicht länger für dumm verkaufen.

Krisennavigator: Als wenige Tage nach den Terroranschlägen in Spanien das "Kommando Mowsar Barajew" wegen des Verbots islamischer Kopftücher in französischen Schulen mit Attentaten drohte, hat die Regierung in Paris sofort umfassende Maßnahmen zur Krisenbewältigung eingeleitet. Birgt diese "lehrbuchgerechte" französische Krisenkommunikation nicht das Risiko, die Bevölkerung zu hypersensibilisieren und den Terroristen eine Bühne für ihre Aktionen zu bieten?

Dr. Schuppener: Die Gefahr möglicher Terroranschläge ist in den Köpfen der Bevölkerung allgegenwärtig und die Bühne spätestens seit dem Anschlag auf das World Trade Center aufgebaut. Auch wenn niemand unmittelbar glaubt, selbst Opfer eines Terroranschlags zu werden, müssen die latent vorhandenen Ängste der Menschen ernst genommen werden. Daher ist es unerlässlich, dass die europäischen Regierungen auf dieser Bühne eine aktive Rolle spielen. Inwieweit dies durch offen wahrnehmbare Demonstrationen staatlicher Macht oder abseits der Öffentlichkeit - beispielsweise mittels verdeckter Operationen - geschieht, ist immer eine Gratwanderung und sollte in jedem Fall individuell entschieden werden.

Krisennavigator: Anfang November 2004 finden in den USA Präsidentschaftswahlen statt. Auch George W. Bush wird - genau wie Aznar - eine irreführende Informationspolitik im Vorfeld des Irakkriegs vorgeworfen. Welche Aspekte sollte der amtierende US-Präsident bei seiner Kommunikationsarbeit berücksichtigen, um ein ähnliches Wahldebakel wie in Spanien zu verhindern?

Behrens: Ein Vergleich fällt schwer, da jedes politische System anders "tickt" und sich folglich auch die Kommunikation unterscheidet. Grundsätzlich lebt die Legitimation politischer Ziele in demokratischen Staaten davon, wie glaubwürdig sie vermittelt werden. Zweifellos entsprach Aznars Haltung zum Irak-Krieg seiner eigenen legitimen Überzeugung - auch wenn man diese vielleicht nicht teilt. Unglaubwürdig wird eine Regierung dann, wenn sie die Mehrheit der Wähler nicht mehr durch die Kraft ihrer eigenen Argumente hinter sich bringen kann und damit auch das verfolgte politische Ziel an Legitimität verliert. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass Regierungskommunikation entweder glaubwürdig ist, oder dass sie dazu beiträgt, die eigene Regierung abzusetzen. George W. Bush sollte sich das Schicksal Aznars vor dem Hintergrund seiner eigenen Argumentation für den Irak-Krieg durchaus vor Augen halten. Mit der simplen Aufteilung der Welt in Gut und Böse raubt sich Bush selbst die Möglichkeit, differenziert zu kommunizieren. Bei vielen Menschen in den USA schwindet damit automatisch auch seine Glaubwürdigkeit - und damit seine Chance auf Wiederwahl.

"Regierungskommunikation ist die krisenanfälligste
aller Kommunikationsdisziplinen."

Krisennavigator: Vor Aznar sind auch schon andere Politiker im Vorfeld von Wahlen über ihre elementaren Fehler in der Krisenkommunikation gestolpert. Beispielhaft genannt seien der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel und der US-Präsident Richard Nixon. Worin liegen die besonderen Herausforderungen der politischen Krisenbewältigung?

Dr. Schuppener: Krisen in der Politik unterscheiden sich deutlich von Unternehmenskrisen. Politische Institutionen sind dem Allgemeinwohl und damit allen Staatsbürgern verpflichtet. Krisenhafte Entwicklungen betreffen folglich die gesamte Bevölkerung. Demgegenüber kann sich ein Unternehmen in einem Krisenfall auf bestimmte Zielgruppen fokussieren - beispielsweise auf die Nachbarschaft eines Chemiewerks oder die Käufer eines spezifischen Produkts. Ebenso haben Unternehmen die Möglichkeit, Krisenthemen (Issues) einzugrenzen, sei es durch das Analysieren von Krisenszenarien oder ein intelligentes Issues Management. Dies fällt politischen Institutionen ungleich schwerer, denn die von politischen Krisen betroffenen Themen und Menschen sind deutlich zahlreicher. Außerdem laufen Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse in der Politik viel verzweigter ab und sind meist dezentral, "basisdemokratisch" organisiert. Dadurch bieten sie einzelnen Politikern die Gelegenheit, "aus der Reihe zu tanzen". Auch der Mensch hinter einer politischen Entscheidung tritt viel stärker in den Fokus der Medien als der Unternehmensführer hinter einer betrieblichen Entscheidung. Sicherlich kann in einer Mediengesellschaft Reduktion von Komplexität dazu beitragen, Botschaften besser verständlich zu machen. Wenn es um Sympathie und Glaubwürdigkeit von Menschen - insbesondere Politikern - geht, erhöht Differenziertheit jedoch den Erfolg. Angesichts dieser inhaltlichen Besonderheiten ist Regierungskommunikation sicherlich die krisenanfälligste aller Kommunikationsdisziplinen.

Krisennavigator: Krisenkommunikation in der Politik scheint eigenen Gesetzen zu unterliegen. Welche Maßnahmen zur Krisenprävention kann man Regierungen empfehlen, damit sie im Ernstfall angemessen reagieren können?

Behrens: Ein Muss ist sicherlich das Einrichten entsprechender Strukturen. Viele Behörden und Institutionen haben diese Tatsache erkannt und entsprechend gehandelt. Beispielhaft genannt sei die hervorragende Krisenkommunikation des Auswärtigen Amtes. Über diese logistischen und organisatorischen Mindestanforderungen hinaus sollten politische Institutionen darüber nachdenken, wie sie ihre Glaubwürdigkeit, langfristig, gezielt und systematisch in die Kommunikation einbringen können. Bei Themen, die die Allgemeinheit betreffen, ist Glaubwürdigkeit stets die einzige Währung, die zählt.

Krisennavigator: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Ansprechpartner

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