Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 3 (März) - ISSN 1619-2389
 

Rechenfehler im Pentium-Prozessor
von Intel im Sommer 1994

von Prof. Dr. Armin Töpfer

Überblick

Als der Mathematik-Professor Thomas Nicely aus Virginia (USA) im Spätsommer 1994 einen Rechenfehler bei seinem Pentium-Prozessor bemerkte und diesen Defekt dem Chip-Hersteller Intel meldete, wiegelte das Unternehmen den Fehler als ein "Insiderproblem" ab. Doch der Wissenschaftler ließ nicht locker und initiierte im Internet einen wahren Proteststurm gegen den Chip-Giganten. Prof. Dr. Armin Töpfer von der Technischen Universität Dresden skizziert Ursachen und Verlauf, Wirkungen und Lehren aus der "Pentium-Krise".

Die Situation

Der Mathematik-Professor Thomas Nicely vom Lynchburg College in Virginia (USA) monierte im Spätsommer 1994 bei der Intel Corporation, daß bei bestimmten Rechenoperationen, und zwar auch schon bei einer einfachen Division, bereits ab der fünften Stelle hinter dem Komma Rundungsfehler auftraten und beschwerte sich darüber. Die Reaktion von Intel daraufhin war eindeutig: Das Unternehmen wiegelte dies als "Insiderproblem" ab und wies ihn sanft, aber bestimmt zurück.

Intel selbst hatte bereits Mitte 1994 den Rechenfehler entdeckt, aber keine weiteren und vor allem nachvollziehbaren Konsequenzen daraus gezogen. Im Gegenteil, Intel bewarb den Chip weiter als den besten im Markt. Der Pentium-Prozessor war das Flaggschiff der Intel-Produktpalette und sollte die Innovations- und Qualitätsführerschaft von Intel am Markt sichern. Die erste Generation des Pentium-Chips wurde 1993 in den Markt eingeführt. Die Kosten für die Werbekampagne beliefen sich auf insgesamt 150 Millionen US-Dollar allein für die Fernsehwerbung und 80 Millionen US-Dollar für die Anzeigen in Printmedien. Im Jahr 1994 betrug der Umsatz von Intel 11,5 Milliarden US-Dollar. Zum großen Teil war er auf die Einführung des Pentium-Prozessors zurückzuführen. Der Nettogewinn belief sich in diesem Jahr auf 2,3 Milliarden US-Dollar. Das Unternehmen befand sich also in einer eindeutig positiven Umsatz- und Ertragssituation.

Da der Mathematik-Professor Thomas Nicely mit seinem Anliegen von Intel abgewiesen wurde, publizierte er am 30. Oktober 1994 im Internet eine E-Mail, um andere Nutzer des Pentium-Prozessors zu finden, die das gleiche Problem hatten. Er löste damit eine Lawine von mehr als 10.000 Mails innerhalb des Internet aus. 20 Newsgroups diskutierten das Problem. In der Folge begannen frustrierte Internet-User, ihrem Ärger mittels Witzen über den Fehler und die Werbekampagne "Intel inside" Luft zu machen. Typische Beispiele waren:

  • Frage: Warum kleben auf allen Intel-PC die Plaketten "Intel inside"? 
    Antwort: Ein Warnhinweis ist ja schließlich nötig.
  • Frage: Wie kann man einen Wissenschafter in den Wahnsinn treiben?
    Antwort: Durch Sponsoring mit einem Pentium-PC.
  • Frage: Was heißt eigentlich "Pentium"?
    Antwort: Produces Enormous Numbers Through Incorrect Understanding of Mathematics (Erzeugt ungeheure Zahlen durch falsches Verständnis von Mathematik).

Im November 1994 erreichte die Nachricht über den fehlerhaften Chip die Massenmedien. Der amerikanische Nachrichtensender CNN kommunizierte dies in den "Headline News". In Deutschland berichteten sämtliche Medien kurz darauf auch über diesen Fehler. Intel richtete daraufhin eine Hotline mit einer 800er-Nummer für Fragen und Beschwerden ängstlicher Kunden ein. Am 24. November 1994, dem amerikanischen Thanksgiving, wurde bei Intel eine Krisensitzung mit Andy Grove, CEO von Intel, und seinen Top-Führungskräften einberufen, um über die Reaktion auf die sich ausbreitende Kontroverse zu beraten. Das Ergebnis war, daß Andy Grove am 27. November 1994 via Internet auf die Vorwürfe antwortete. Zunächst entschuldigte er sich, dann folgte ein defensives Verharmlosen, und schließlich forderte er den Beweis, daß der Kunde derart hochmathematische Berechnungen durchführe, so daß die richtige Ausführung essentiell sei. Nur unter dieser Voraussetzung wollte Intel die fehlerhaften Chips austauschen, da sonst kein signifikanter Defekt vorliege.

IBM, ein Abnehmer der Intel-Prozessoren für einige seiner PCs, führte eigene interne Tests durch und stellte fest, daß der Fehler durchschnittlich alle 24 Tage auftreten kann und nicht wie Intel berichtete, einmal in 27.000 Jahren. "PC Week" und "PC Magazine" meldeten auf Grundlage eigener Tests, daß der Fehler offensichtlich deutlich schwerwiegender war, als von Intel behauptet wurde. Nach Aussage der Magazine würde die Fehlerhäufigkeit zwischen zwei Monaten und zehn Jahren liegen. Beim Taschenrechner von Windows 3.1 würde der Fehler sogar bei der Subtraktion bestehen.

Beispiel: 3.00 - 3.01 =  - 0.00

Daraufhin bahnte sich eine "Rebellion" aller Intel-Kunden an, und zwar auch derjenigen, die lediglich normale Rechenoperationen durchführten. Die Krise eskalierte in der Weise, daß auch Kunden, die keine Berechnungen, sondern nur normale Chart-Präsentationen aufbereiteten, Angst vor Fehlern durch den ungenau rechnenden Chip hatten.

Die Ursachen

Verantwortlich für die sich zuspitzende Krise waren vier Fehler:

  • Zum Ersten als technische Ausgangssituation der Fehler bei der Konzeption des Pentium.
  • Zum Zweiten der Managementfehler, der sich zunächst in der unprofessionellen Antwort auf die Beschwerde von Professor Thomas Nicely ausdrückte. Eine noch weitgehend neutral gehaltene Anfrage oder sogar ein Hinweis auf ein technisches Problem gerieten aufgrund des "Abbürstens" des Informanten zu einem PR-Problem. Hinzu kam dann die Verzögerung bei dem für das Unternehmen in dieser großen Zahl unerwartet auftretenden Umtauschwunsch.
  • Zum Dritten wurden der Einsatz und die Bedeutung des Internet mit damals 30 Millionen Nutzern und deren "Mund-zu-Mund- Kommunikation" immens unterschätzt. Gerade diese technisch orientierten Nutzergruppen stellen exakt die Zielgruppe für den Pentium-Prozessor dar. Eine Information, die sich auf ein technisches Problem bezieht, verbreitet sich zu Zeiten des Internet global extrem schnell. Von den Unternehmen ist bei einer derartigen Krise ein sehr schnelles Handeln erforderlich, um einen größeren und schnell auftretenden Imageschaden zu vermeiden.
  • Der vierte Fehler lag darin, daß das Verhalten der Nutzer generell fehleingeschätzt wurde. Entscheidend war für die Nutzer nicht, ob sie Berechnungen durchführten, bei denen der Fehler auftreten konnte. Entscheidend war für sie, daß sie sich - subjektiv gesehen - auf jede Art von Berechnung mit dem Pentium-Chip verlassen wollten, und zusätzlich, daß sie die Möglichkeit besaßen, den fehlerhaften Prozessor umzutauschen.

Die Aussage von Intel, daß viele Anwendungen des PCs nicht anspruchsvoll genug sein würden, um den Pentium-Chip bis zum Auftreten des Fehlers auszunutzen, wurde als arrogant und unsensibel bewertet. Gerade die letztere Aussage trug dazu bei, daß die Krise starke Wellen schlug.

Die Wirkungen

IBM als einer der Hauptkunden reagierte, bevor Intel sich zu einer offiziellen Reaktion entschlossen hatte: Am 12. Dezember 1994 gab IBM einen Austauschplan für sämtliche auf dem Pentium basierenden Systeme, das waren 5% des Gesamtumsatzes der IBM-PCs, heraus. Zugleich wurde den Kunden in der Öffentlichkeit versichert, daß keine weiteren PCs mit einem fehlerhaften Pentium-Chip IBM verlassen würden.

Die Reaktionen am Markt führten dazu, daß die Intel-Aktien um mehrere Prozentpunkte fielen. Der Handel mit Intel-Aktien wurde daraufhin ausgesetzt. Dies führte zu nachhaltigen Reaktionen bei der Intel Corporation: Am 21. Dezember 1994 entschuldigten sich die drei Vorstände Andy Grove, Craig Barrett und Gordon Moore. Durch die Aussage "kein Chip ist perfekt" war aber auch diese Entschuldigung nur halbherzig. Die Presseerklärung wurde auch via Internet verbreitet. Die Kernaussage bestand darin, daß - als Bestandteil einer "No-questions-asked-policy" - alle Prozessoren ohne weitere Fragen und ohne Beweisführung auf Wunsch kostenlos ausgetauscht würden.

Eine zweite Hotline neben der für Kunden diente der Autorisierung der Händler, um die Reparaturen bzw. den Austausch auf Kosten von Intel auszuführen. Dabei ging man inzwischen von der Annahme aus, daß nicht alle Kunden von diesem Angebot Gebrauch machen würden. Das Angebot war dazu gedacht, um die Kunden zu beruhigen, also als "peace-of-mind-builder", um das Vertrauen zurückzugewinnen. Die realen Kosten für eine vollständige Umtauschaktion hätten sich bei geschätzten 100 US-Dollar pro Reparatur auf insgesamt 2,2 Milliarden US-Dollar belaufen, wenn man von einem Bestand an 2,2 Millionen fehlerhaften Chips ausging. Dieser hohe Betrag war zweifellos ein wesentlicher Grund für die zu Anfang starre und unnachgiebige Haltung von Intel. Insgesamt wurden für das Jahr 1994 vom Unternehmen 475 Millionen US-Dollar Verlustrückstellung gebildet, um die Kosten für die effektiv in Anspruch genommene Umtauschaktion abzudecken. In der Konsequenz wurde der fehlerhafte Chip Ende 1994 durch die Umtauschaktion nur zum Teil vom Markt genommen.

Nachdem bekannt wurde, wie Intel mit Professor Thomas Nicely als ernsthaftem Informanten umgegangen ist, war in der Presse breitflächig zu lesen, daß Intel die Beschwerde unprofessionell behandelt hatte. Die "New York Times" verlieh Intel einen sogenannten "Konsumenten-Täuschungspreis".

Trotz des kurzzeitigen Fallens seines Aktienkurses blieb Intel unangefochten in seiner guten Marktposition. Für die meisten Nutzer spielte der Fehler faktisch keine Rolle. Bereits im ersten Quartal 1995 steigerte Intel seine Gewinne um 44 Prozent. Das gesamte Jahr 1995 schloß das Unternehmen mit einem Umsatz von 16,2 Milliarden US-Dollar und einem Gewinn nach Steuern von 3,56 Milliarden US-Dollar ab. Der Rechenfehler hatte also nur zu einer kurzzeitigen, vor allem auf der psychologischen Ebene sich abspielenden Krise geführt. Dennoch ist sie in ihrer Schwere und Auswirkung nicht zu unterschätzen gewesen.

Lessons learnt

Wesentlich war folgender Lerneffekt: Durch das Internet ist eine Stimmung und damit ein Imageschaden entstanden, der in seiner Stärke und vor allem Plötzlichkeit durch andere Kommunikationsmedien bisher nicht erreichbar war. Von daher bot es sich an, das Internet zugleich auch als Radar für das eigene Image zu nutzen. Neuerdings führt Intel deshalb regelmäßig durch eigene Mitarbeiter eine "Online image analysis" bei Newsgroups und kommerziellen Service-Foren im Internet durch. Wenn Kritik an Intel geübt wird, dann wird heute kurzfristig von einem Mitglied des Unternehmens der Kritiker kontaktiert, um das Problem mit ihm im Detail zu besprechen und nach Möglichkeit auch gleich zu beseitigen. Die angestrebte Wirkung liegt auf der Hand: Hierdurch sollen derartige Multiplikator- und Akzeleratoreffekte, wie sie beim ersten Mal aufgetreten sind, vermieden werden.

Die Beschwerde von Professor Thomas Nicely hatte Nachahmer: Am 9. Mai 1997 war im Internet zu lesen, daß der Pentium II und der Pentium Pro beide fehlerhaft seien. Ein amerikanischer Physik-Professor behauptete dies. Der amerikanische Autor Robert Collins wollte ebenfalls einen neuen Fehler bei diesen zwei Intel-Prozessoren entdeckt haben. Intel bestätigte den Fehler, der darin läge, daß der Prozessor bei der Konvertierung von langen Floating-point-Zahlen und kurzen Integer-Zahlen nicht darauf hinweise, wenn diese Zahlen im Wert nicht exakt übereinstimmten. Der Fehler habe keinen Einfluß auf die Funktionstüchtigkeit von Computerprogrammen, war auf einer eigens eingerichteten Internet-Seite zu lesen. Insgesamt 22 Firmen - darunter IBM, Microsoft und Corel - hatten bei internen Tests keine falschen Berechnungen festgestellt. Der Fehler sollte trotzdem in der künftigen Version behoben werden. Softwareentwicklern wurden Informationen zur Umgehung der fehlerhaften Funktion zur Verfügung gestellt. Weltweit waren Telefonnummern angegeben, unter denen Verbraucher sich mit Intel in Verbindung setzen konnten.

Zwei Lerneffekte lassen sich hieraus ziehen. Zum einen, daß die Aktion in der ersten Runde dazu führte, daß das Internet in gleicher Weise immer stärker als Kommunikationskanal eingesetzt wird. Zum anderen, daß offensichtlich Intel bis heute - unabhängig von einem möglichen technischen Fehler - zumindest keinen erneuten vergleichbar gravierenden Fehler in der Kommunikation und Zusammenarbeit mit seinen Kunden gemacht hat.

Die Bewertung

Der Krisenverlauf kann in fünf Phasen unterteilt werden:

  • Eine Prävention vor dem Krisenfall war nicht gegeben.
  • Auf die kurz vor dem Ausbrechen der Krise als "Flächenbrand" gegebene Frühwarnung reagierte Intel inhaltlich nicht. Das gleiche galt hinsichtlich des kurz zuvor selbst entdeckten Problems. Eine Früherkennung fand deshalb kaum statt.
  • Die Kriseneindämmung bezog sich auf die Einrichtung einer Hotline, eine Krisensitzung, wie sie bei der Lawine an Reaktionen völlig normal ist, und auf die Presseerklärung Ende Dezember 1994. Das zwischenzeitliche Problem in dieser Phase bestand vor allem darin, daß der Kunde den Beweis antreten sollte, daß er hochmathematische Berechnungen durchführt, die einen Austausch seines Pentium-Prozessors rechtfertigen würden. Von daher ist auch hier ein relativ geringes Niveau gegeben, zumal der inhaltliche Anstoß zum Austausch von IBM und nicht von Intel kam.
  • Die Phase "Recovery als Neustart" bewegt sich ebenfalls auf dem gleichen niedrigen Niveau. Zum einen wurde der sofortige Austausch ohne Begründung angeboten. Zum zweiten wurde eine zusätzliche Hotline eingerichtet, um den Austausch bei den Händlern zu organisieren.
  • Das Lernen aus der Krise bezieht sich - für Externe nachvollziehbar - lediglich auf die Imageanalyse im Internet und ein schnelles Reagieren sowie Ernstnehmen erneuter Anfragen. Ersteres führte zu einem direkten Abgreifen des Kommunikationskanals, der bei der Krise ursächlich war.

Die Fallstudie wurde - mit freundlicher Genehmigung der Hermann Luchterhand Verlag GmbH - der folgenden, sehr lesenswerten Publikation entnommen:

Armin Töpfer,
Plötzliche Unternehmenskrisen - Gefahr oder Chance?,
Grundlagen des Krisenmanagement, Praxisfälle,
Grundsätze zur Krisenvorsorge,
Verlag Luchterhand, Neuwied, Kriftel, 1999,
364 Seiten, ISBN 3-472-03800-4, DM 58.00

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Autor

Prof. Dr. Armin Töpfer
Technische Universität Dresden
Fakultät Wirtschaftswissenschaften
Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre,
Marktorientierte Unternehmensführung
Helmholtzstraße 10
D-01062 Dresden
Telefon: +49 (0)351 463 2187
Telefax: +49 (0)351 463 5237
Internet: www.tu-dresden.de/wwbwlmuf
E-Mail: atoepfer@rcs.urz.tu-dresden.de

 

 

 

 

 

 

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
2. Jahrgang (1999), Ausgabe 9 (September)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
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Rechenfehler im Pentium-Prozessor
von Intel im Sommer 1994

von Prof. Dr. Armin Töpfer

Überblick

Als der Mathematik-Professor Thomas Nicely aus Virginia (USA) im Spätsommer 1994 einen Rechenfehler bei seinem Pentium-Prozessor bemerkte und diesen Defekt dem Chip-Hersteller Intel meldete, wiegelte das Unternehmen den Fehler als ein "Insiderproblem" ab. Doch der Wissenschaftler ließ nicht locker und initiierte im Internet einen wahren Proteststurm gegen den Chip-Giganten. Prof. Dr. Armin Töpfer von der Technischen Universität Dresden skizziert Ursachen und Verlauf, Wirkungen und Lehren aus der "Pentium-Krise".

Die Situation

Der Mathematik-Professor Thomas Nicely vom Lynchburg College in Virginia (USA) monierte im Spätsommer 1994 bei der Intel Corporation, daß bei bestimmten Rechenoperationen, und zwar auch schon bei einer einfachen Division, bereits ab der fünften Stelle hinter dem Komma Rundungsfehler auftraten und beschwerte sich darüber. Die Reaktion von Intel daraufhin war eindeutig: Das Unternehmen wiegelte dies als "Insiderproblem" ab und wies ihn sanft, aber bestimmt zurück.

Intel selbst hatte bereits Mitte 1994 den Rechenfehler entdeckt, aber keine weiteren und vor allem nachvollziehbaren Konsequenzen daraus gezogen. Im Gegenteil, Intel bewarb den Chip weiter als den besten im Markt. Der Pentium-Prozessor war das Flaggschiff der Intel-Produktpalette und sollte die Innovations- und Qualitätsführerschaft von Intel am Markt sichern. Die erste Generation des Pentium-Chips wurde 1993 in den Markt eingeführt. Die Kosten für die Werbekampagne beliefen sich auf insgesamt 150 Millionen US-Dollar allein für die Fernsehwerbung und 80 Millionen US-Dollar für die Anzeigen in Printmedien. Im Jahr 1994 betrug der Umsatz von Intel 11,5 Milliarden US-Dollar. Zum großen Teil war er auf die Einführung des Pentium-Prozessors zurückzuführen. Der Nettogewinn belief sich in diesem Jahr auf 2,3 Milliarden US-Dollar. Das Unternehmen befand sich also in einer eindeutig positiven Umsatz- und Ertragssituation.

Da der Mathematik-Professor Thomas Nicely mit seinem Anliegen von Intel abgewiesen wurde, publizierte er am 30. Oktober 1994 im Internet eine E-Mail, um andere Nutzer des Pentium-Prozessors zu finden, die das gleiche Problem hatten. Er löste damit eine Lawine von mehr als 10.000 Mails innerhalb des Internet aus. 20 Newsgroups diskutierten das Problem. In der Folge begannen frustrierte Internet-User, ihrem Ärger mittels Witzen über den Fehler und die Werbekampagne "Intel inside" Luft zu machen. Typische Beispiele waren:

Im November 1994 erreichte die Nachricht über den fehlerhaften Chip die Massenmedien. Der amerikanische Nachrichtensender CNN kommunizierte dies in den "Headline News". In Deutschland berichteten sämtliche Medien kurz darauf auch über diesen Fehler. Intel richtete daraufhin eine Hotline mit einer 800er-Nummer für Fragen und Beschwerden ängstlicher Kunden ein. Am 24. November 1994, dem amerikanischen Thanksgiving, wurde bei Intel eine Krisensitzung mit Andy Grove, CEO von Intel, und seinen Top-Führungskräften einberufen, um über die Reaktion auf die sich ausbreitende Kontroverse zu beraten. Das Ergebnis war, daß Andy Grove am 27. November 1994 via Internet auf die Vorwürfe antwortete. Zunächst entschuldigte er sich, dann folgte ein defensives Verharmlosen, und schließlich forderte er den Beweis, daß der Kunde derart hochmathematische Berechnungen durchführe, so daß die richtige Ausführung essentiell sei. Nur unter dieser Voraussetzung wollte Intel die fehlerhaften Chips austauschen, da sonst kein signifikanter Defekt vorliege.

IBM, ein Abnehmer der Intel-Prozessoren für einige seiner PCs, führte eigene interne Tests durch und stellte fest, daß der Fehler durchschnittlich alle 24 Tage auftreten kann und nicht wie Intel berichtete, einmal in 27.000 Jahren. "PC Week" und "PC Magazine" meldeten auf Grundlage eigener Tests, daß der Fehler offensichtlich deutlich schwerwiegender war, als von Intel behauptet wurde. Nach Aussage der Magazine würde die Fehlerhäufigkeit zwischen zwei Monaten und zehn Jahren liegen. Beim Taschenrechner von Windows 3.1 würde der Fehler sogar bei der Subtraktion bestehen.

Beispiel: 3.00 - 3.01 =  - 0.00

Daraufhin bahnte sich eine "Rebellion" aller Intel-Kunden an, und zwar auch derjenigen, die lediglich normale Rechenoperationen durchführten. Die Krise eskalierte in der Weise, daß auch Kunden, die keine Berechnungen, sondern nur normale Chart-Präsentationen aufbereiteten, Angst vor Fehlern durch den ungenau rechnenden Chip hatten.

Die Ursachen

Verantwortlich für die sich zuspitzende Krise waren vier Fehler:

Die Aussage von Intel, daß viele Anwendungen des PCs nicht anspruchsvoll genug sein würden, um den Pentium-Chip bis zum Auftreten des Fehlers auszunutzen, wurde als arrogant und unsensibel bewertet. Gerade die letztere Aussage trug dazu bei, daß die Krise starke Wellen schlug.

Die Wirkungen

IBM als einer der Hauptkunden reagierte, bevor Intel sich zu einer offiziellen Reaktion entschlossen hatte: Am 12. Dezember 1994 gab IBM einen Austauschplan für sämtliche auf dem Pentium basierenden Systeme, das waren 5% des Gesamtumsatzes der IBM-PCs, heraus. Zugleich wurde den Kunden in der Öffentlichkeit versichert, daß keine weiteren PCs mit einem fehlerhaften Pentium-Chip IBM verlassen würden.

Die Reaktionen am Markt führten dazu, daß die Intel-Aktien um mehrere Prozentpunkte fielen. Der Handel mit Intel-Aktien wurde daraufhin ausgesetzt. Dies führte zu nachhaltigen Reaktionen bei der Intel Corporation: Am 21. Dezember 1994 entschuldigten sich die drei Vorstände Andy Grove, Craig Barrett und Gordon Moore. Durch die Aussage "kein Chip ist perfekt" war aber auch diese Entschuldigung nur halbherzig. Die Presseerklärung wurde auch via Internet verbreitet. Die Kernaussage bestand darin, daß - als Bestandteil einer "No-questions-asked-policy" - alle Prozessoren ohne weitere Fragen und ohne Beweisführung auf Wunsch kostenlos ausgetauscht würden.

Eine zweite Hotline neben der für Kunden diente der Autorisierung der Händler, um die Reparaturen bzw. den Austausch auf Kosten von Intel auszuführen. Dabei ging man inzwischen von der Annahme aus, daß nicht alle Kunden von diesem Angebot Gebrauch machen würden. Das Angebot war dazu gedacht, um die Kunden zu beruhigen, also als "peace-of-mind-builder", um das Vertrauen zurückzugewinnen. Die realen Kosten für eine vollständige Umtauschaktion hätten sich bei geschätzten 100 US-Dollar pro Reparatur auf insgesamt 2,2 Milliarden US-Dollar belaufen, wenn man von einem Bestand an 2,2 Millionen fehlerhaften Chips ausging. Dieser hohe Betrag war zweifellos ein wesentlicher Grund für die zu Anfang starre und unnachgiebige Haltung von Intel. Insgesamt wurden für das Jahr 1994 vom Unternehmen 475 Millionen US-Dollar Verlustrückstellung gebildet, um die Kosten für die effektiv in Anspruch genommene Umtauschaktion abzudecken. In der Konsequenz wurde der fehlerhafte Chip Ende 1994 durch die Umtauschaktion nur zum Teil vom Markt genommen.

Nachdem bekannt wurde, wie Intel mit Professor Thomas Nicely als ernsthaftem Informanten umgegangen ist, war in der Presse breitflächig zu lesen, daß Intel die Beschwerde unprofessionell behandelt hatte. Die "New York Times" verlieh Intel einen sogenannten "Konsumenten-Täuschungspreis".

Trotz des kurzzeitigen Fallens seines Aktienkurses blieb Intel unangefochten in seiner guten Marktposition. Für die meisten Nutzer spielte der Fehler faktisch keine Rolle. Bereits im ersten Quartal 1995 steigerte Intel seine Gewinne um 44 Prozent. Das gesamte Jahr 1995 schloß das Unternehmen mit einem Umsatz von 16,2 Milliarden US-Dollar und einem Gewinn nach Steuern von 3,56 Milliarden US-Dollar ab. Der Rechenfehler hatte also nur zu einer kurzzeitigen, vor allem auf der psychologischen Ebene sich abspielenden Krise geführt. Dennoch ist sie in ihrer Schwere und Auswirkung nicht zu unterschätzen gewesen.

Lessons learnt

Wesentlich war folgender Lerneffekt: Durch das Internet ist eine Stimmung und damit ein Imageschaden entstanden, der in seiner Stärke und vor allem Plötzlichkeit durch andere Kommunikationsmedien bisher nicht erreichbar war. Von daher bot es sich an, das Internet zugleich auch als Radar für das eigene Image zu nutzen. Neuerdings führt Intel deshalb regelmäßig durch eigene Mitarbeiter eine "Online image analysis" bei Newsgroups und kommerziellen Service-Foren im Internet durch. Wenn Kritik an Intel geübt wird, dann wird heute kurzfristig von einem Mitglied des Unternehmens der Kritiker kontaktiert, um das Problem mit ihm im Detail zu besprechen und nach Möglichkeit auch gleich zu beseitigen. Die angestrebte Wirkung liegt auf der Hand: Hierdurch sollen derartige Multiplikator- und Akzeleratoreffekte, wie sie beim ersten Mal aufgetreten sind, vermieden werden.

Die Beschwerde von Professor Thomas Nicely hatte Nachahmer: Am 9. Mai 1997 war im Internet zu lesen, daß der Pentium II und der Pentium Pro beide fehlerhaft seien. Ein amerikanischer Physik-Professor behauptete dies. Der amerikanische Autor Robert Collins wollte ebenfalls einen neuen Fehler bei diesen zwei Intel-Prozessoren entdeckt haben. Intel bestätigte den Fehler, der darin läge, daß der Prozessor bei der Konvertierung von langen Floating-point-Zahlen und kurzen Integer-Zahlen nicht darauf hinweise, wenn diese Zahlen im Wert nicht exakt übereinstimmten. Der Fehler habe keinen Einfluß auf die Funktionstüchtigkeit von Computerprogrammen, war auf einer eigens eingerichteten Internet-Seite zu lesen. Insgesamt 22 Firmen - darunter IBM, Microsoft und Corel - hatten bei internen Tests keine falschen Berechnungen festgestellt. Der Fehler sollte trotzdem in der künftigen Version behoben werden. Softwareentwicklern wurden Informationen zur Umgehung der fehlerhaften Funktion zur Verfügung gestellt. Weltweit waren Telefonnummern angegeben, unter denen Verbraucher sich mit Intel in Verbindung setzen konnten.

Zwei Lerneffekte lassen sich hieraus ziehen. Zum einen, daß die Aktion in der ersten Runde dazu führte, daß das Internet in gleicher Weise immer stärker als Kommunikationskanal eingesetzt wird. Zum anderen, daß offensichtlich Intel bis heute - unabhängig von einem möglichen technischen Fehler - zumindest keinen erneuten vergleichbar gravierenden Fehler in der Kommunikation und Zusammenarbeit mit seinen Kunden gemacht hat.

Die Bewertung

Der Krisenverlauf kann in fünf Phasen unterteilt werden:

Die Fallstudie wurde - mit freundlicher Genehmigung der Hermann Luchterhand Verlag GmbH - der folgenden, sehr lesenswerten Publikation entnommen:

Armin Töpfer,
Plötzliche Unternehmenskrisen - Gefahr oder Chance?,
Grundlagen des Krisenmanagement, Praxisfälle,
Grundsätze zur Krisenvorsorge,
Verlag Luchterhand, Neuwied, Kriftel, 1999,
364 Seiten, ISBN 3-472-03800-4, DM 58.00

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Prof. Dr. Armin Töpfer
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Fakultät Wirtschaftswissenschaften
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Marktorientierte Unternehmensführung
Helmholtzstraße 10
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Telefon: +49 (0)351 463 2187
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E-Mail: atoepfer@rcs.urz.tu-dresden.de

 

 

 

 

 

 

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